Ein bisschen Urwald am Rhein: Mit acht Booten gehen die Gäste aus den USA, Großbritannien, Kanada, Brasilien, Belarus, der Schweiz und Frankreich sowie Deutschland zu Wasser. In dem nördlich von Karlsruhe gelegenen Rheinsheim begeben sie sich mit Kanus auf eine ungewöhnliche Pilgerfahrt. Anlass ist die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Karlsruhe.
Nachdem die Strömung der Wasserstraße erfolgreich gemeistert ist, paddeln sie weiter durch idyllische Altrheinarme und genießen die Natur. Schwäne, Graureiher und Gänse sind beliebte Fotomotive. Über den Pilgerbooten weht ein Hauch von "Amazonasfeeling", wie ein Steuermann in bestem Kurpfälzisch bemerkt.
"Es sieht aus wie bei uns Zuhause", findet eine aus Kanada angereiste Teilnehmerin. Dort sei die Natur überall so unberührt wie in dem Naturschutzgebiet am Altrhein. Die Paddeltour führt in normalerweise unzugängliche Ecken und eröffnet so neue Perspektiven.
Pilgern bedeute, bewegt sein, unterwegs sein, sagt Pfarrer Andreas Rhiem-Strammer von der Evangelischen Kirchengemeinde in Philippsburg: "Wir alle sind Wanderer, Pilger auf dieser Erde." Das Kanupilgern verbinde die Bewegung mit dem Erleben der Natur.
250 Meter breit ist der Rhein an Stromkilometer 387. Hier steht eines von zwei Kriegerdenkmalen, das an die vielen Toten am Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert, als 1945 die französischen Truppen den Rhein überquerten. Dies ist in dem Philippsburger Ortsteil Rheinsheim bis heute lebendig.
Individuelle Traumata weitergetragen
"Im Krieg war der Rhein ein Ort des Leids, heute ist er ein Ort der Liebe und des Friedens", sagt Silke Kosian. Die Jugendwartin des Kanuvereins Bruhrain hat das Kanupilgern an historischer Stätte organisiert für die Gäste des Ökumene-Gipfels, zu dem sich noch bis Donnerstag rund 4.000 Christen aus aller Welt treffen.
Pfarrer Rhiem-Strammer verweist auf die unterschiedliche Bewertung der Rheinüberquerung an Ostern vor 77 Jahren. Durch die Landung der Alliierten zeichnete sich das Ende des Zweiten Weltkriegs ab und die Befreiung von der Nazi-Diktatur. Andererseits hätten viele Einwohner die fremden Truppen als "Besatzer" und "Vergewaltiger" in Erinnerung, erklärt der Theologe. Dieses persönlich erfahrene Leid zu verzeihen, falle vor allem der älteren Generation schwer.
Noch in den 1970er Jahren hätten Lehrer ihren Schülern Frankreich als "Erzfeind" eingebläut, erinnert sich Bürgermeister Stefan Martus. Trotz einzelner Freundschaften zwischen deutschen und französischen Familien seien über Generationen individuelle Traumata weitergegeben und Feindseligkeit auf das ganze französische Volk übertragen worden.
"Wir dürfen nicht vergessen, dass militärische Interventionen immer großes Leid verursachen", mahnt Stefan Maaß mit Blick auf den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Landeskirche in Baden betont, dass die Landeskirche an dem friedensethischen Prozess einer "Kirche des gerechten Friedens" festhalte.
"Ich glaube, im Moment hat keiner ein Rezept, wie man die Gewalt in der Ukraine stoppen kann", räumt Maaß ein. Durch den Krieg hat das ökumenische Kanupilgern unter dem Titel "Zwischen Krieg und Frieden" eine beunruhigende Aktualität erhalten.