Er ist noch so neu in dem Metier, dass er zur Belustigung des Oberstaatsanwalts zum Haftprüfungstermin in seiner Robe erscheint. Mit der Heiterkeit ist es allerdings schlagartig vorbei, als sich rausstellt, wen Collini auf dem Gewissen hat: Caspar kannte das offiziell als Jean-Baptiste Meyer geführte Opfer stets nur unter dem Namen Hans. Der schwerreiche Fabrikant, ein angesehener Bürger und Träger des Bundesverdienstkreuzes, hat ihn früh unter seine Fittiche genommen. Der Enkel war Caspars bester Freund, Enkelin Johanna seine Jugendliebe. Der Anwalt will das Mandat wieder abgeben, aber sein früherer Professor rät ihm davon ab: Irgendeinen Grund zur Befangenheit gebe es immer. Um Collini vor einer Mordanklage zu bewahren, will Caspar erfahren, warum der Italiener den Industriellen nicht nur regelrecht hingerichtet, sondern post mortem auch noch mit Tritten ins Gesicht traktiert hat. Weil Collini schweigt, sucht Caspar auf eigene Faust nach dem Motiv und macht schließlich eine erschütternde Entdeckung, die seinen verehrten Ziehvater in einem völlig anderen Licht erscheinen lässt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Handlung spielt 2001, weshalb sich erahnen lässt, für welche Art von Verbrechen Meyer büßen musste; die Details sind dennoch schockierend. Das Muster zumindest dieses Teils der Geschichte (Drehbuch: Christian Zübert, Robert Gold, Jens-Frederik Otto) könnte auch aus einem Italo-Western stammen; ein Lied vom Tod ("Eine Nacht in Monte Carlo" von Heinz Egon) erklingt ebenfalls. Die Vorlage zu "Der Fall Collini" stammt von Ferdinand von Schirach, und wie in allen verfilmten Werken des juristischen Schriftstellers ("Gott", "Terror – Ihr Urteil") geht es um eine moralische Größenordnung, die weit über diesen speziellen Fall hinausweist: Caspar stößt schließlich auf einen dreißig Jahre zurückliegenden Skandal der deutschen Gesetzgebung.
"Der Fall Collini" ist 2019 halbwegs erfolgreich (gut 800.000 Besucher) im Kino gelaufen, lässt sich aber auch im Fernsehen gut anschauen, zumal sich weite Teile der Handlung im Gerichtssaal zutragen. Regie führte Marco Kreuzpaintner, der nach der Jugendbuchverfilmung "Krabat" (2008) und der Beziehungskomödie "Coming In" (2014), beide fürs Kino entstanden, mit dem fesselnden Psychothriller "Sanft schläft der Tod" (2016) und einem sehenswerten "Polizeiruf" aus München ("Und vergib uns unsere Schuld", 2017) auch sehr gute Fernsehfilme gedreht hat. Hier erweist er sich erneut als vorzüglicher Schauspielerregisseur, zumal das Ensemble formidabel ist: mit Elyas M’Barek als junger Anwalt, Franco Nero als Rächer, Heiner Lauterbach als Strafrechtslegende und heutigem Vertreter der Nebenklägerin; Meyers Enkelin Johanna, von Alexandra Maria Lara als düster-tragische Schönheit verkörpert, hat selbstverständlich kein Verständnis dafür, dass ihr einstiger Geliebter den Mörder ihres Großvaters verteidigt. Auch kleine Rollen sind bestens besetzt, unter anderem mit Manfred Zapatka als Mordopfer, Rainer Bock als Oberstaatsanwalt und Catrin Striebeck als Richterin. Ein kleiner Knüller ist die Mitwirkung von Jannis Niewöhner, der für wenige Szenen in die Rolle des schneidigen jungen Alter Egos von Hans Meyer geschlüpft ist; zuvor hatte er unter Kreuzpaintners Regie die Titelfigur in der Amazon-Serie "Beat" (2018) gespielt.
Das Presseecho zum Kinostart war überraschend kritisch, dabei gibt es handwerklich an dem Film nichts auszusetzen. Die Bildgestaltung von Jakub Bejnarowicz ("Wir Kinder vom Bahnzof Zoo") ist sehr sorgfältig, zumal Lichtsetzung und Farbgebung längst nicht so stereotyp wirken wie sie in der Beschreibung klingen: grünliches Licht in den verliesartigen Zellen unterm Gerichtssaal, flirrende Helligkeit in der Toskana. Die Musik von Ben Lukas Boysen ist ohne Filmbilder nicht weiter ungewöhnlich, entfaltet aber in Kombination mit der Handlung eine hohe Intensität. Sehr gelungen ist auch die Integrierung der Rückblenden in die Kindheit und Jugend, wenn Caspar beispielsweise als Erwachsener ins Anwesen der Meyers zurückkehrt und sich umgehend entsprechende Erinnerungen einstellen. Die junge Johanna (Tara Fischer) und ihr Bruder (Ludwig Simon) sind ebenfalls prägnant besetzt. Die darstellerischen Leistungen sind ohnehin ausnahmslos sehenswert. Franco Nero ist zwar zwanzig Jahre zu alt für seine Rolle, hat aber natürlich das nötige Charisma, um über weite Strecken auch ohne Dialoge zu imponieren. Für M’Barek war die Rolle des eifrigen Anwalts nach der nicht minder sehenswerten Tragikomödie "Dieses bescheuerte Herz" (2017) der zweite gelungene Versuch, sich von seinem unbeschwerten "Fack ju Göhte"-Image zu emanzipieren.