Ein damals auf ihrer Facebook-Seite erschienenes Bild zeigt sie in einer Londoner Allee mit blühenden Bäumen. Darunter stand: "Immer, wenn ich in einem freien Land den Wind in meinen Haaren spüre, erinnere ich mich daran, wie meine Haare unter der iranischen Regierung in Gefangenschaft gehalten wurden." In einem "Emma"-Interview erläuterte sie später den Hintergrund der Aktion: "Jede Frau im Nahen Osten, die einen Schleier tragen muss, verstand sofort, was ich damit meine."
Kurz drauf veröffentlichte sie eine Aufnahme, die sie unverschleiert im Iran zeigte. Der Text dazu lautete: "Wollt ihre eure geheimen Freiheiten mit mir teilen?" Das war der Beginn der Initiative "My Stealthy Freedom" (Meine heimliche Freiheit), seither bekommt sie ständig Fotos von unverschleierten Iranerinnen.
Die in Schweden lebende Regisseurin Nahid Persson stammt ebenfalls aus dem Iran. Einst hat sie mit ihren Eltern gegen den Schah demonstriert. Sie hätte es nie für möglich gehalten, dass das Land nach der Revolution 1979 vom Regen in die Traufe geraten würde, als sich die von Ajatollah Chomeini geführte "Regentschaft der Geistlichkeit" in eine Religionsdiktatur wandelte. Persson befasst sich in ihren Dokumentarfilmen regelmäßig mit der Korruption und der Grausamkeit des iranischen Regimes.
Ihr jüngstes Werk ist eine Verbeugung vor Masih Alinejad, die ihre Arbeit als Parlamentsreporterin aufgeben musste, weil sie wegen allzu kritischer Berichte Hausverbot bekam, sowie eine Hommage an all’ jene Iranerinnen, die ihren Schleier durch die Luft wirbeln. Auf vielen Fotos sind diese Mädchen und Frauen aus Furcht vor Repressionen nur von hinten zu sehen, aber andere sprechen in den Videos offen in die Kamera und beschreiben die unerträglichen Zustände in ihrer Heimat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Mit wehenden Haaren gegen die Mullahs" (SWR/Arte) ist ein sehr persönlicher Film. Als sich Persson und Alinejad zum ersten Mal begegnen, begrüßen sie einander wie gute Freundinnen, die sich lange nicht gesehen haben. Die äußere Ähnlichkeit der beiden Frauen mit ihrer wildgelockten Haarpracht ist verblüffend, aber auch ihre Seelenverwandtschaft wird rasch offenkundig.
Trotzdem ist es beachtlich, wie ungeschützt die Aktivistin der Dokumentarfilmerin tiefe Einblicke in ihr Gefühls- und Privatleben gewährt. Dazu zählt auch das Schicksal ihrer im Iran verbliebenen Familie: Die Mutter möchte am liebsten gar nicht mit ihr telefonieren, weil sie ihr die Schuld an der Verhaftung des Bruders gibt.
Rückgrat des Films sind jedoch die vielen Videos, die den mutigen Widerstand dokumentieren; und die Unerbittlichkeit, mit der die Sittenpolizei gegen die "Konterrevolution" vorgeht. Frauen skandieren "Keine Züchtigung, kein Kopftuch!", andere verteilen am Weltfrauentag Blumen in der U-Bahn. Eine Mutter schickt vorweg, sie trage ihren Hidschab gern und aus freien Stücken, würde ihren Töchtern jedoch nie entsprechende Vorschriften machen, und wirft dem Regime vor, es praktiziere "die Apartheid der Geschlechter".
Es gibt auch Videos von Männern, meist mit Schmähungen oder Morddrohungen, aber eins zeigt drei Anhänger Alinejads, die "mit wehenden Haaren", wie sie trotz Kurzhaarfrisur versichern, ihre Solidarität mit den verhafteten Frauen bekunden.
Viele dieser kurzen Filme wirken wie ein Happening, aber Persson verschweigt nicht, welches Risiko der zivile Ungehorsam birgt. Diese Ebene beginnt mit Aufnahmen einer brutalen Verhaftung und blutender Menschen auf dem Rücksitz eines Polizeifahrzeugs. Später folgen ungleich grausigere Bilder: Polizisten schießen willkürlich in eine Menge, die gegen die Erhöhung der Benzinpreise protestiert.
Alinejads Bruder warnt sie vor dem Geheimdienst, der Regime-Gegner auch im Ausland tötet. Kurz drauf wird er verhaftet; fortan dient er als Geisel, um sie mundtot zu machen. Doch die Aktivistin lässt sich nicht einschüchtern und appelliert an westliche Politiker: "Wenn Sie den Mördern die Hand geben, ohne ihre Verbrechen anzusprechen, legitimieren Sie die Diktatur!" Die iranische Regierung hat ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt, sie steht unter Polizeischutz; erst kürzlich konnte ein Anschlag vereitelt werden.