Weil vermeintlich goldene Zeiten in der Regel lange zurück liegen, spielt dieser "Tatort" aus Hamburg nur vordergründig in der Gegenwart. Die Episodenhauptfigur ist ein Mann aus der Vergangenheit, und dass er einst so etwas wie ein Mentor und väterlicher Freund für Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) war, ist im Grunde viel interessanter als die eigentliche Geschichte: Ein junger Rumäne tötet den Geschäftsführer des größten Bordells am Platz.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Dessen dementer Besitzer, Egon Pohl (Christian Redl), hat seinen einstigen Einfluss längst verloren, mit Macht drängt ein albanischer Clan in das Vakuum; der Familie gehört bereits der halbe Kiez. Natürlich verdächtigt Falke den Nachfolger des früheren Clanchefs, Krenar Zekaj (Slavko Popadic), den jungen Matei (Bogdan Iancu) als Auftragsmörder gedungen zu haben.
Der Teenager ist allerdings wie vom Erdboden verschluckt: Pohls früherer Sicherheits-Chef, Lübke (Michael Thomas), hat ihn geschnappt. Weil er es nicht übers Herz bringt, Matei zu töten, will er den Spieß umdrehen und ihn auf Zekaj ansetzen.
Das Drehbuch von Georg Lippert, der auch an dem Fracking-Krimi "Böser Boden" (2017, ebenfalls ein "Tatort" mit Möhring und Franziska Weisz) beteiligt war, lässt keinerlei Zweifel an seiner Sympathie für den alten Lübke. Entsprechend nostalgisch ist dessen Wiedersehen mit Falke, der im Kiez aufgewachsen ist und einst als Türsteher für ihn gearbeitet hat, bevor er Polizist geworden ist. Da er immer noch in St. Pauli lebt, ist zwar kaum zu glauben, dass er dem Alten all’ die Jahre nicht begegnet ist, aber sei’s drum; die gegenseitigen Gefühle sind jedenfalls nicht zu übersehen, weshalb Julia Grosz den Kollegen selbstredend für befangen hält.
Dank der Fehde zwischen den rivalisierenden Familien ist der Handlungskern von "Die goldene Zeit" (eine Wiederholung aus dem Jahr 2019) den Krimis mit Til Schweiger nicht unähnlich, selbst wenn die ausufernden Action-Anteile fehlen; gegen Ende kommt es allerdings ebenfalls zu einer großen Ballerei. Während in den Schweiger-Filmen der Handlungsmotor von Testosteron befeuert wird, sorgt hier die Nostalgie für die großen Gefühle.
Wer diese Anwandlung nicht nachvollziehen kann, wird jedoch auf Distanz bleiben. Gut möglich, dass die "Tatort"-Gemeinde, die nach anfänglich großem Zuspruch immer weniger Freude an den Auftritten Schweigers hatte, auch das großspurige Gehabe der Clanmitglieder nicht goutieren wird; Filme über die organisierte arabische oder albanische Kriminalität, womöglich noch mit Gangsta-Rap unterlegt, kommen beim klassischen Sonntagskrimipublikum ohnehin nicht so gut an.
Gerade im Vergleich zu den Gangstern hat Lübke leichtes Spiel, zum Sympathieträger zu werden; umso seltsamer, dass die Verantwortlichen für diese Rolle keinen echten Hamburger, sondern einen hierzulande praktisch unbekannten Österreicher ausgewählt haben. Immerhin ist Michael Thomas ein interessanter Typ, dessen Gesicht ebenso wie seine Stimme keinen Zweifel daran lassen, dass "Eisen-Lübke" schon eine Menge erlebt hat.
Mitunter hat es ohnehin den Anschein, als habe sich Mia Spengler mehr für Kiez-Flair als für die Krimi-Ebene interessiert; richtig spannend ist der Film zumindest nicht. Die Regisseurin hatte zuvor fürs ZDF einen ziemlich guten Beitrag für die Reihe "Fluss des Lebens" gedreht ("Yukon – Ruf der Wildnis", 2019) und für Sat.1 die gleichfalls sehenswerte romantische Komödie "Leg dich nicht mit Klara an".
Ihre letzte Arbeit war der im Juni ausgestrahlte Falke/Grosz-Krimi "Schattenleben"; in der herausragend gut gelungenen Mischung aus Polizeifilm und Melodram ermittelte die Kommissarin verdeckt in der feministischen Szene.
Natürlich ist Falkes Vorgeschichte reizvoll, und auch handwerklich ist "Die goldene Zeit" dank einer kühlen und auffällig kontraststarken Bildgestaltung (Moritz Schultheiß) sowie der interessanten elektronischen Musik (Marc Fragstein) völlig in Ordnung; aber Spenglers Krimidebüt ist vor allem atmosphärisch interessant.
Immerhin erliegt sie im Unterschied zu den Figuren nicht der Versuchung, die Vergangenheit zu verklären. In der Rotlichtgegenwart gibt es dafür ohnehin keinen Anlass: Die Kiezblumen von einst sind sichtlich verblüht, im Puff dominiert die Farbe Pink. Falke kippt zwar Schnaps in sein obligates Glas Milch, aber das ist auch sein einziges Zugeständnis an die vermeintlich gute alte Zeit.