Ein bisschen nervös sitzen die jungen Frauen auf den Rollsitzen von "Charlie", einem großen Holzboot. "Den Riemen am Griff nehmen, Ruderblatt auf gestellte Postion bringen", kommandiert Beate Wettling. "Und jetzt!", ruft die Steuerfrau mit dem weißen T-Shirt, auf dem in großen Buchstaben "Kirchboot" steht. Wasser spritzt auf, die Ruder graben ins Dunkelgrün des Angelhofer Altrheins zwischen Speyer und Otterstadt in der Pfalz.
Schon nach wenigen Metern haben die Ruderinnen und Ruderer auf wundersame Weise ihren Takt gefunden. Schnell gewinnt das mehr als zehn Meter lange Boot an Fahrt. Ein lautes "Juchu" schallt übers Wasser, alle sind im Rhythmus, ziehen gemeinsam in die gleiche Richtung.
Das Kirchbootfahren steht an diesem heißen Sommertag auf dem Programm des Betriebsausflugs des Anicura Kleintierzentrums Speyer. Auf zwei Bootsbesatzungen hat sich die rund 20-köpfige Mitarbeiterschaft spontan aufgeteilt. In einer alten, ruhigen Rheinschlinge, rund zweieinhalb Kilometer vom reißenden Fluss entfernt, gleiten sie durchs Wasser.
"Wir werden auf jeden Fall gewinnen", spornt Tierarzt Sven Kremp seine Mitarbeiterinnen an. Rudererfahrung haben die meisten der jungen Tierärztinnen und Tierarzthelferinnen keine. "Ich bin schon im Fitnesscenter und in einem Gondelteich gerudert", sagt Mitarbeiterin Carmen grinsend. Tierärztin Julia Kremp hingegen war schon einmal bei der Kirchboot-Regatta dabei, die die Rudergesellschaft Speyer 1883 seit 14 Jahren immer im Frühsommer ausrichtet.
Zusätzlich veranstaltet der rund 400 Mitglieder zählende Verein Fahrten in seinen beiden Kirchbooten "Konrad II." und "Charlie". Sie sind mehr als 300 Kilogramm schwer und bieten jeweils Platz für zehn Ruderer, eine Steuerperson gibt den Takt und die Fahrtrichtung vor. Die Boote aus Okoumé-Sperrholz sind verkleinerte Nachbauten skandinavischer Originale aus dem 17. Jahrhundert.
Norbert Herbel, begeisterter Ruderer und Chef der Firma Kirchboot-Manufaktur in Speyer, ist fasziniert von der Geschichte dieser besonderen Wasserfahrzeuge. Um das Jahr 1640 sei im gewässerreichen Finnland eine ganz besondere Tradition des Bootfahrens aufgekommen, erzählt der Mittsiebziger: In Anlehnung an die Langboote der Wikinger wurden große, bis zu 40 Meter lange Holzboote gebaut.
In erster Linie nutzten protestantische Kirchengemeinden in Finnland diese für Fahrten zu den sonntäglichen Gottesdiensten, erzählt Herbel, der selbst Kirchboote gebaut hat und einen Wartungsservice anbietet. Die Gemeinden lagen weit verstreut und verfügten oft nur über schlechte Verkehrsanbindungen. Die Kirche förderte den Bau und die Instandhaltung der offenen Boote.
Ein Spaß für Kirchgänger
120 bis 150 Menschen fanden in dem stattlichen Bootstyp Platz, der von 30 bis 40 Ruderpaaren fortbewegt wurde. Nach den Gottesdiensten, so heißt es in alten Chroniken, machten sich die Kirchgänger gerne einen Spaß, griffen fest in die Ruder und lieferten sich Wettrennen. Die stabilen Boote dienten zudem für Umzüge sowie für Fahrten zu Hochzeiten, Kindstaufen, Konfirmationen und Begräbnissen. Bis heute veranstalten die Finnen Rennen mit Kirchboot-Nachbauten.
Auch hierzulande finde das Rudern in den schweren und doch wendigen Kirchbooten immer mehr Liebhaber, erzählt Martina Schott. Die Unternehmensberaterin aus Speyer gehört dem Präsidium des Deutschen Ruderverbands an, der bundesweit rund 80.000 Mitglieder in 550 Rudervereinen zählt. Der Rudersport sei bei jüngeren und auch älteren Menschen schwer im Kommen.
Diakonissen schon elfmal bei Regatta dabei
Um die Kasse ihres Clubs aufzubessern, hat sie Seminare zur Teamentwicklung erarbeitet. Unternehmen, Vereine oder auch Personengruppen können sie zubuchen bei ihren Kirchbootfahrten. Wer Boot fahren will, muss gemeinsam mit anderen in die gleiche Richtung ziehen, bringt es Schott auf den Punkt: Eine Besatzung, die aus Einzelkämpfern besteht, kommt nicht vom Fleck.
Die Diakonissen Speyer haben längst erkannt, dass Kirchbootfahren sie voranbringt. Schon elfmal waren Frauen und Männer des größten diakonischen Trägers in der Pfalz bei der Speyerer Kirchboot-Regatta dabei, an der sich im vergangenen Juni 24 Teams beteiligten. Damals belegten die Diakonissen in der Kategorie "Mixed Teams" den ersten Platz, mit 26 Schlägen in 47 Sekunden über die 200-Meter-Distanz. Das gemeinsame Training und der Wettkampf hätten "aus einer heterogenen Truppe eine schlagkräftige Einheit" geformt, sagt Pressesprecherin Barbara Fresenius.
Die jungen Tierärztinnen und Tierarzthelferinnen aus Speyer machen bei ihrem Kirchboot-Ausflug von Anfang an alles richtig. Niemand springt einfach rücksichtslos in die beiden Boote hinein. Man reicht sich gegenseitig die Hand, setzt sich vorsichtig hin, ohne zu ruckeln. Die beiden Steuerleute Beate Wettling und Andrea Vogel, die im Heck der Boote Platz genommen haben, sind zufrieden: Solche Ruderteams können nur erfolgreich sein.
Jetzt wird noch ein wenig geübt. Denn zum Ende der mehr als zweistündigen Rudertour, kreuz und quer über den Altrhein, kommt noch das traditionelle Abschlussrennen. Mit synchronem Ruderschlag gelangt man sicher ans Ziel, geben die Steuerleute ihren Bootsfrauen mit auf den Weg: "Immer auf den Popo des Vordermanns gucken, nicht auf das Ruder", sagt Peter Gärtner, der im Kirchboot "Charlie" auf die Bank des Steuermanns gewechselt ist.
Noch ein Schluck Wasser, durchgeatmet. "Und jetzt!" feuern die beiden Steuerleute ihre Teams an. Die Besatzung pullt kräftig, fast auf gleicher Höhe schießen "Konrad II." und "Charlie" vorwärts, Nilgänse suchen das Weite. Nach ein paar Sekunden und hundert Metern ist alles vorbei. "Charlie" hat es geschafft. Die Ruderinnen klatschen sich verschwitzt ab, lachen: "Wir sind Wikinger."