"Demokratie stirbt in Finsternis": Einen derart sperrigen "Polizeiruf"-Titel traut sich sonst nur der Bayerische Rundfunk, und natürlich setzt er ein Signal, denn der Film ist ähnlich ungewöhnlich; und das nicht allein im Vergleich zu den bisherigen Geschichten, die der RBB aus dem deutsch-polnischen Grenzgebiet erzählt hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Matthias Glasner beginnt den Krimi (eine Wiederholung aus dem Jahr 2018), indem er das Fundament seiner Hauptfigur erschüttert: Während Olga Lenski (Maria Simon) und ihre kleine Tochter tief und fest schlafen, wird eingebrochen. Die Täter verwüsten nicht nur die Wohnung, sie filmen die Polizistin auch mit ihrem eigenen Smarthphone. Die Kommissarin ist schockiert: Wenn man die eigenen Kinder zuhause nicht schützen könne, sei "alles sinnlos". Ihre Mutter empfiehlt ihr, Abstand zu gewinnen und ein paar Tage auf einem einsam gelegenen Bauernhof auszuspannen; und dort beginnt dann die eigentliche Handlung.
Trotzdem ist der Einbruch mehr als bloß ein Vorwand, um Olga aufs Land zu schicken. Ein Blick auf ihre zitternden Hände genügt dem kriminalistisch und psychologisch geschulten Vielseher, um zu ahnen: Die Polizistin leidet offenkundig unter einem posttraumatischen Belastungssyndrom, was zur Folge hat, dass sie einerseits dünnhäutig, andererseits aber auch sehr empfänglich für Zuwendung ist.
Lennard Kohlmorgen (Jürgen Vogel), der Besitzer des Hofs, nimmt eigentlich keine Gäste mehr auf, erkennt aber Olgas Notlage. Der Mann ist ein "Prepper" und überzeugt, dass die Gesellschaft unausweichlich in eine Katastrophe hineinsteuert. Deshalb hat er entsprechende Vorbereitungen getroffen. Er führt mit seinen Kindern ein völlig autarkes Leben: Ein Windrad sorgt für Strom, der Hof hat einen eigenen Brunnen, die Lebensmittel bauen sie selbst an. Getrübt wird die Idylle allein durch den Umstand, dass dem verbitterten Lennard kürzlich die Frau abhanden gekommen ist. Als ihre Leiche gefunden wird, gilt er naturgemäß als Hauptverdächtiger.
Obwohl die Konstellation alle Voraussetzungen für einen klassischen Krimi erfüllt und der Film spätestens gegen Ende auch ziemlich spannend wird, erzählen Glasner und sein Koautor Mario Salazar ihre Geschichte ganz anders. Schon der politische Hintergrund sorgt dafür, dass "Demokratie stirbt in Finsternis" kein gewöhnlicher Sonntagskrimi ist. Der Titel bezieht sich auf ein Motto, das Lenski-Kollege Raczek (Lukas Gregorowicz) in einer Aussteigerkommune ins Auge fällt: "Democracy Dies in Darkness" (seit 2017 der Slogan der Washington Post). Die Gruppe kommt ins Spiel, weil Valeska Kohlmorgen ihren Mann für den Anführer verlassen hat.
Dieser Ulysses (Dimitrij Schaad) ist ein Prediger der Apokalypse. Er und seine Mitstreiter wollen das vermeintlich unvermeidliche Ende noch ein bisschen beschleunigen: Überzeugt, dass das System innerhalb von 48 Stunden kollabieren wird, setzen sie ihr Motto in die Tat um und sorgen dafür, dass in weiten Teilen von Berlin und Brandenburg der Strom ausfällt; und nun wandelt sich das Krimidrama zum Endzeitfilm.
Vermutlich hätte Glasner die Geschichte gern noch aufwändiger gestaltet, aber auch so lässt er keinen Zweifel daran, dass er den Rahmen des Sendeplatzes sprengen will; und das nicht allein wegen der Panoramabilder vom großflächig in Finsternis versinkenden Berlin oder den TV-Berichten über Plünderungen und Choleragefahr durchs Trinkwasser.
Das Finale, als marodierende Jugendliche Kohlmorgens Hof überfallen und sich die Familie samt Olga und Raczek in den unterirdischen Überlebensraum retten, weckt Assoziationen zu gleich mehreren Genres, vom Western bis zu modernen Belagerungs-Thrillern im Stil von John Carpenters "Assault – Anschlag bei Nacht" (1976). Und doch erzählt Glasner, der seit zwanzig Jahren regelmäßig mit Jürgen Vogel zusammenarbeitet (von "Sexy Sadie" über "Der freie Wille" bis zur Neo-Serie "Blochin"), in erster Linie von zwei Menschen, die beide aus der Bahn geworfen worden sind: Olga durch den Einbruch, Kohlmorgen durch den Auszug seiner Frau.
Obwohl die beiden sonst nichts verbindet – für den Aussteiger ist die Polizistin selbstredend eine Repräsentantin des herrschenden Systems –, machen die traumatischen Erfahrungen sie zu Seelenverwandten. Der Tod Valeskas hat fast zwangsläufig die Trennung dieser Verbindung zur Folge: weil Olga wieder zur Ermittlerin wird. Geschickt sorgen Glasner und Salazar zudem dafür, dass Raczek nicht zu kurz kommt. Der Kollege wacht über Olga und sucht außerdem nach dem Einbrecher, weil er vermutet, dass sich ein verurteilter Straftäter an ihr rächen will.
Glasner hat die Geschichte den diversen inhaltlichen Turbulenzen zum Trotz sehr ruhig umgesetzt. Die spannenden Szenen sind eher die Ausnahme; abgesehen vom actionreichen Finale ist es vor allem die Musik (HomeSweetHome), die für Thriller-Atmosphäre sorgt. Die sorgfältige Arbeit mit den Schauspielern zeigt sich gerade in den Gesprächen zwischen Olga, Lennard und seiner selbstbewussten halbwüchsigen Tochter.
Die junge Sofie Eifertinger spielt die anspruchsvollen Dialogszenen, in denen sie auch mal über das "gefräßige Ich" dozieren muss, ganz vorzüglich; Schwächen zeigt sie erst gegen Ende, wenn sich Ulrike zur Anführerin der Jugendlichen aufschwingt und die anderen lautstark mitreißen muss. Auch Dimitrij Schaad trägt als Prophet des Untergangs etwas zu dick auf. Maria Simon und Jürgen Vogel wiederum müssen einige Sätze sagen, die zwar sehr tiefsinnig, aber auch nach Drehbuch klingen ("Unter dem Druck der Welt verschrumpeln unsere Seelen"), machen das aber mit einer Selbstverständlichkeit, die sie nie gestelzt klingen lassen.
Auch sonst stimmen nicht alle Details. Raczek beschwert sich bei einer Kollegin darüber, dass die Suche nach den Einbrechern so lange dauert, und redet dabei von ihrem "süßen Arsch"; das bringt ihm eine Beschwerde wegen sexueller Belästigung ein, die Geschichte jedoch keinen Deut weiter.
Ungleich gelungener sind die Momente, in denen Glasner die Bilder für sich sprechen lässt: Der Film beginnt mit dem unbeschwerten Zähneputzen von Mutter und Tochter. Nach dem nächtlichen Einbruch wiederholt sich die Szene, aber die Unbeschwertheit ist dahin. Dass Kameramann Florian Foest die düstere Geschichte auch optisch entsprechend gestaltet hat, versteht sich beinahe von selbst, zumal die Novemberbilder von einer fast körperlich spürbaren Frostigkeit sind.