Im Zürcher Diogenes-Verlag ist kürzlich der 31. Brunetti-Roman erschienen, aber die Degeto hat den Commissario bereits vor drei Jahren in Rente geschickt. Dabei las sich die Pressemitteilung, mit der die ARD-Tochter 2019 das Ende der Donna-Leon-Verfilmungen bekanntgegeben hat, wie eine Sammlung von Argumenten für eine Fortsetzung: Die Reihe sei "eine besondere Erfolgsgeschichte, die die Zuschauer von Anfang bis heute in die italienische Lebensweise und die leidenschaftlich inszenierten Geschichten eintauchen ließ. Auf dieses Stück Fernsehgeschichte können alle Beteiligten sehr stolz sein!"
Tatsächlich ließen sich eine ganze Reihe von Gründen finden, warum die Filme mit Uwe Kockisch nicht mehr zeitgemäß sind, aber für die ARD zählen erfahrungsgemäß in erster Linie die Einschaltquoten, und die waren nach wie vor respektabel. Obwohl die etablierten Programme durch die Konkurrenz neuer Sender und erst recht der Streaming-Dienste seit Jahren kontinuierlich Zuschauer verlieren, lagen die Krimis regelmäßig und zum Teil deutlich jenseits der Sechs-Millionen-Marke; das ist mit Ausnahme des "Tatort" weit mehr, als sonstige Reihen erreichen. Andererseits sind die Filme schon seit geraumer Zeit eine Art "Sightseeing mit Krimifaktor"; viele Menschen schauen sich die Produktionen vermutlich in erster Linie wegen der garantiert schönen Venedig-Bilder an.
Auch "Stille Wasser", der 26. und letzte Film, erfüllt diese Erwartungen, selbst wenn die Handlung größtenteils auf einer Laguneninsel spielt: Brunetti ist nach einem Kreislaufkollaps ins Krankenhaus eingeliefert und krank geschrieben worden; Aufregung soll er tunlichst vermeiden. Also hat er sich für zwei Wochen im Landhaus der Familie seiner Frau einquartiert und verbringt seine Zeit beim entspannten Rudern mit dem Bienenzüchter Casati (Hermann Beyer), der sich als früherer Freund und Ruderpartner seines Vaters entpuppt.
Als der Mann während eines Sturms verschwindet, überredet Brunetti die Küstenwache zu einer Suchaktion. Tatsächlich finden sie Casatis Leiche, und damit ist für den Commissario der Urlaub beendet: Der Bienenzüchter war überzeugt, dass die einheimischen Biobetriebe heimlich mit Pestiziden arbeiten, er hat regelmäßig Bodenproben eingeschickt und hatte ständig Ärger mit den Gemüsebauern. Natürlich will Brunetti der Sache auf den Grund gehen; da kann er allerdings noch nicht ahnen, dass es sich dabei um den Grund der Lagune handelt.
Uwe Kockisch war zum Zeitpunkt (2018) der Dreharbeiten 74 Jahre alt, und natürlich hat auch er sich die Frage gestellt, wie glaubwürdig er noch eine Figur verkörpern könne, die deutlich jünger ist. Mag sein, dass das Alter des Hauptdarstellers in den Überlegungen der Degeto ebenfalls eine Rolle gespielt hat, aber der scheinbar unverwüstliche Kockisch wirkt keineswegs wie ein alter Mann.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Action-Szenen wie Verfolgungsjagden oder gar Schlägereien gehören ohnehin nicht zum Markenkern der Donna-Leon-Verfilmungen, und auch das dürfte ein Teil des Erfolgsgeheimnisses sein, weshalb in "Stille Wasser" (TV-Premiere war 2019) eine Rückblende, in der mehrere Männer nach einer Explosion wie Fackeln brennen, völlig aus dem Rahmen fällt. Der Hauptdarsteller selbst hat im Grunde nicht mehr zu tun, als würdevoll durch die Stadt zu schreiten, Verdächtige zu befragen und sich zum Abendessen auf der traumhaft gelegenen Dachterrasse der Brunettis einzufinden.
Kockisch spielte den Brunetti seit 2003, Sigi Rothemund und sein treuer Kameramann Dragan Rogulj sind sogar noch länger dabei; das Duo hat seit der dritten Episode, "In Sachen Signora Brunetti" (2002), sämtliche Folgen gedreht. Eine gewisse Routine konnte da fast nicht ausbleiben, etwas mehr Tempo hätte den Krimis sicher gut getan, aber auch das gehörte zum Markenzeichen, selbst wenn die Inszenierungen auf diese Weise etwas aus der Zeit gefallen wirkten. Andererseits gilt das ja auch für den besonderen Stil Donna Leons. Die Herausforderung der Drehbuchautoren bestand nicht zuletzt darin, Tonfall und Atmosphäre der Vorlagen treu zu bleiben, was in der Regel sehr gut gelungen ist.
Das Drehbuch zu "Stille Wasser" ist von Stefan Holtz und Florian Iwersen, die seit knapp zehn Jahren regelmäßig für die Reihe arbeiten. Der amerikanischen Schriftstellerin wiederum war womöglich am wichtigsten, dass sich die jeweiligen Anliegen ihrer Romane auch in den Filmen widerspiegelten. Neben einem ausgeprägten Unrechtsbewusstsein waren das immer wieder ökologische Themen; im aktuellen Film geht es unter anderem um das Bienensterben.
Den Machern ging es dagegen neben interessanten Krimis mit starken Persönlichkeiten vor allem um Schauwerte. Auch "Stille Wasser" wirkt mit häufigen Szenenwechseln, vielen Außenaufnahmen und Hochglanzbildern wieder sehr aufwändig. Zu den optisch eindrucksvollsten Einstellungen gehören diesmal die Bilder von Venedig in der beginnenden Dämmerung, wenn es noch nicht dunkel ist, aber bereits viele Lampen eingeschaltet sind. Natürlich hat eine gewisse Melancholie, die über dem Film liegt, auch mit dem Wissen um den Abschied zu tun; die Bilder nach Brunettis Ankunft auf Sant’Erasmo sehen in der Tat nach Lebensabend aus.