Lange hatte Andreas Sturm sich als Generalvikar des Bistums Speyer für Reformen in seiner Kirche starkgemacht. Er förderte die Mitwirkung von Laien, befürwortete die Priesterweihe von Frauen, kämpfte gegen Missbrauch, kritisierte den Zölibat und segnete auch homosexuelle Menschen. Doch das Beharrungsvermögen in der Institution war zu stark: Vor knapp einem Monat trat der 47-jährige Stellvertreter von Bischof Karl-Heinz Wiesemann aus der Kirche aus, wechselte als Priester zur alt-katholischen Kirche. Nun hat der liberale Theologe ein Buch vorgelegt, in dem er die Gründe dafür darstellt.
"Ich muss raus aus dieser Kirche. Weil ich Mensch bleiben will", so ist der Band betitelt. In schonungsloser Offenheit berichtet ein ranghoher katholischer Geistlicher über seinen letztlich als erfolglos empfundenen Kampf für eine veränderte Kirche. Solch eine öffentliche Beichte hat es in der katholischen Kirche in Deutschland bisher wohl noch nicht gegeben.
Sein Buch ist keine Abrechnung mit der katholischen Kirche, kein verletztes Nachtreten gegen Kirchenobere, sondern ein Befreiungsschlag. Irgendwann, sagt Sturm im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), sei seine Kraft am Ende gewesen und habe er die Hoffnung auf einen Wandel und eine gute Zukunft seiner Kirche verloren. Nach einem längeren Entfremdungsprozess und in "innerer Zerrissenheit" zog der Geistliche, der in Frankenthal bei Ludwigshafen geboren wurde und vier Jahre lang Generalvikar in Speyer war, schließlich die Reißleine. Für viele Katholikinnen und Katholiken nicht nur im Bistum Speyer ist der Weggang des beliebten Hoffnungsträgers ein Schock.
Missbrauchsskandal begünstigt Sturms Austritt
Er habe nicht mehr glaubwürdig sein verantwortungsvolles Amt als zweiter Mann im Bistum, Verwaltungschef und auch als Seelsorger ausfüllen können, sagt Sturm, der aus der kirchlichen Jugendarbeit kommt. Als einen Hauptgrund für das Gefühl "raus zu müssen", nennt er den immer weiter schwelenden Missbrauchsskandal. In der Kirche fehle die Bereitschaft für ehrliche Aufklärung und Reue. Von sexuellem Missbrauch betroffene Menschen würden zudem nur unzureichend unterstützt, kritisiert er.
Seine Beziehung zur Kirche bezeichnet er als eine langjährige "Co-Abhängigkeit": Lange, zu lange habe er das System verteidigt und gestützt, auch als er immer mehr Einblicke in Fehlentwicklungen gewonnen habe. Gegenwind aus dem kirchlichen Machtapparat, gar aus dem Vatikan, habe er als Reformer nicht verspürt, versichert Sturm. Vielmehr hätten viele Mitpriester und besonders sein Bischof ihm den Rücken gestärkt.
Sturm wünscht sich Mitspracherecht für Laien
Vor allem die überbordende Machtfülle der katholischen Geistlichkeit - vom Papst in Rom, den Bischöfen bis hin zu den Priestern in den Gemeinden - gelte es zu beschneiden, schreibt Sturm. Synodale Strukturen, wie sie das Bistum Speyer seit einigen Jahren in einem Prozess erprobt, müssten Laien ein Mitmachen auf Augenhöhe in der Kirche ermöglichen. Überfällig sei es, Frauen auch in kirchliche Leitungspositionen zu bringen. Sturm hatte als Generalvikar in der Speyerer Kirchenverwaltung persönlich dafür gesorgt.
Nun wünscht er seiner früheren Kirche alles Gute, ohne Groll sagt er "Lebewohl". Die katholische Kirche befinde sich in der "Sackgasse", bilanziert er, und sie müsse umsteuern. Doch um wirklich neu zu beginnen, müsse sie wohl "erst gegen die Wand fahren", sagt Sturm. "Es braucht einen Kollaps, so bitter es ist."
In einer kleinen alt-katholischen Gemeinde in Singen am Hohentwiel in Baden-Württemberg wird er vom 1. August an als Priester beginnen, gerade packt er die Umzugskartons. Sturm kann sich vorstellen, eines Tages in einer Beziehung mit einer Frau zu leben und eine Familie zu haben. Eine Konversion zum liturgisch nüchternen Protestantismus sei für ihn nie eine Option gewesen. Im Herzen bleibe er katholisch, sagt Sturm und fügt augenzwinkernd an: "Mir würde der Weihrauch fehlen."