TV-Tipp: "Neben der Spur ist auch ein Weg"

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13. Mai, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Neben der Spur ist auch ein Weg"
Die Freitagsfilme im Ersten lassen sich oft auf einen prägnanten Punkt bringen, der stets auch titeltauglich wäre; zum Beispiel "Mama braucht einen Mann".

Zum Glück heißt diese schöne Tragikomödie über eine Frau, die in der Mitte ihres Lebens vom Gatten verlassen wird, ganz anders. "Neben der Spur ist auch ein Weg" klingt zuversichtlicher und trifft den Tonfall der gelungenen Mischung aus Freundschaftsfilm und Familiendrama auch viel besser. Das Thema des Drehbuchs von Hardi Sturm ist im Grunde ohnehin nicht lustig und enthält daher viele nachdenkliche und melancholische Momente: Vor drei Monaten ist Fritz (Stephan Kampwirth) in das Wohnmobil vor dem Haus gezogen. Er hat Linda (Marlene Morreis) in dem Glauben gelassen, er brauche bloß eine Auszeit, aber in Wirklichkeit hat er längst eine Neue. Die beiden älteren Kinder wussten das bereits, was Linda zusätzlich empört. Nun will sie das Beste aus ihrer neuen Freiheit machen und die bevorstehenden Herbstferien nutzen, um gemeinsam mit dem Nachwuchs Urlaub zu machen. Weil die Teenager Paula und Tim (Lydia Maria Makrides, Jonathan Lade) ganz andere Pläne haben, entwickeln sie den kühnen Plan, ihre Mutter zu verkuppeln, und entwerfen – selbstredend ohne Lindas Wissen – ein Porträt auf einem Dating-Portal. Der kleine Ben (Leo Pérez-Kallscheuer) macht sich derweil analog auf die Suche und findet in seinem neuen Klassenlehrer alsbald einen geeigneten Kandidaten: Herr Kreindel (Kai Ivo Baulitz) ist nicht nur sympathisch, sondern auch verwitwet; also treibt Ben allerlei Unfug, damit der Lehrer Linda zum Elterngespräch bittet.

Das klingt nach einer unbeschwerten Komödie mit vielen heiteren Missverständnissen und komischen "Blind Dates", und die hat "Neben der Spur ist auch ein Weg" in der Tat auch zu bieten, aber die Szenen mit dem getrennten Paar sind pures Drama; die Begegnungen mit der neuen Lebensgefährtin des Gatten sind ebenfalls kein Spaß. Dass die von Linda hartnäckig "Margot" genannte Margit (Justine Hirschfeld) nicht etwa deutlich jünger, sondern mindestens so alt ist wie sie selbst, ergrimmt sie zusätzlich. Das ist zwar irrational, emotional jedoch verständlich, denn das reduziert die Hoffnung auf eine vorübergehende Verwirrung des Gatten und eine baldige Rückkehr in den Schoß der Familie ganz erheblich. Für Erkenntnisse dieser Art ist Lindas beste Freundin Carmen (Anita Vulesica) zuständig. Ihre Anteilnahme, verbunden mit einer pragmatischen Herzlichkeit, bereichert die ohnehin abwechslungsreiche Handlung um einen psychologischen Überbau, weil die Freundin Lindas wechselnde Gefühlszustände als jeweilige Phasen der Trennungstrauer erkennt: von Nicht-wahrhaben-wollen über Wut und Selbstbesinnung bis hin zum Aufbruch zu neuen Ufern. 

Hardi Sturm hat zuletzt mit Lothar Kurzawa die amüsante Komödie "Einmal Sohn, immer Sohn" (2018) mit Christiane Hörbiger als Ikone der Frauenbewegung geschrieben. Auch die früheren nach seinen Drehbüchern im Auftrag der ARD-Tochter Degeto entstandenen Filme waren sehenswert, etwa die Freundschaftshommage "Freundinnen – Alle für eine" (2017); "Papa und die Braut aus Kuba" (2016) war dem Titel zum Trotz eine feinfühlige nachdenkliche Komödie. Die Filmografie von Anna Justice ist dagegen wechselhaft. Die Regisseurin ist einst durch das tragikomische Kinodrama "Max Minsky und ich" (2007) bekannt geworden, konnte ihr Talent mit ihren Fernsehfilmen – der Weihnachtszweiteiler "Pinocchio" (2013), die Auswandererromanze "Harrys Insel" (2017) und das Dreiecksdrama "Das Leben vor mir" (2018) – jedoch nicht immer bestätigen; der Kraftwerks-Thriller "Tag der Wahrheit" (2015) war allerdings ziemlich gelungen. 

"Neben der Spur ist auch ein Weg" ist Anna Justice’ letzter Film. Weil sie nach den Dreharbeiten schwer erkrankt ist, hat sie den Rohschnitt Ed Herzog überlassen, Regisseur der "Eberhofer"-Krimis mit Sebastian Bezzel. Der Kollege, mit dem sie seit dreißig Jahren befreundet war, stand nun vor der schwierigen Aufgabe, das Werk in ihrem Sinn fertig zu stellen; fragen konnte er sie nicht mehr, sie ist im April 2021 verstorben. Dem Ergebnis ist das nicht anzumerken, zumal sich der Film vor allem durch ein herausragend gutes Ensemble auszeichnet. Bei Marlene Morreis und Stephan Kampwirth ist das nicht weiter überraschend, weshalb der Respekt vor allem den jungen Mitwirkenden gebührt: Lydia Maria Makrides, Jonathan Lade (Sohn von Bernd Michael Lade), beide bereits filmerfahren, und der junge Leo Pérez-Kallscheuer spielen ihre Rollen ganz vortrefflich und sind gerade auch als Dreiergruppe jederzeit glaubwürdig. 

Letztlich sind es ohnehin die Kinder, die die Handlung vorantreiben, zumal ihr romantisches Komplott für allerlei Überraschungen sorgt, als sie unter anderem Lindas Jugendliebe (Patrick von Blume) auftreiben. Sehr ungewöhnlich ist auch eine vorübergehende Konstellation, die wie das Thema einer Nachmittagstalkshow aus den Neunzigern klingt: "Hilfe, ich hatte Sex mit dem Freund meines schwulen Sohnes"; in der entsprechenden Szene wandelt sich der Film vorübergehend zur flotten Boulevardkomödie. Die Dialoge sind ohnehin ein Genuss. Für die trotz der gelegentlichen Dramenmomente behagliche Wohlfühlatmosphäre sorgen neben dem warmen Licht und den herbstlich bunten Farben bei Bildgestaltung (Mathias Neumann) und Ausstattung (Andreas Olshausen) auch die sorgfältig ausgewählten Lieder: zur Abwechslung mal nicht der sattsam bekannte Schmusepop, sondern Soul-Songs, die auch inhaltlich zu den jeweiligen Szenen passen.