Das Duo Mariele Millowitsch und Hinnerk Schönemann wirkte zuletzt derart saft- und kraftlos, dass Marie Brand und Jürgen Simmel reif für die Rente schienen. Die im Februar ausgestrahlte 30. Episode, "Marie Brand und der überwundene Tod", war ein Krimi wie aus dem Second-Hand-Laden.
Nummer 31 ist mindestens eine Klasse besser, was sich nicht zuletzt an drei Namen festmachen lässt: Die Geschichten lassen sich gleich ganz anders erzählen, wenn das zentrale Paar nicht im eigenen Saft schmort, sondern mit Thomas Heinze als Staatsanwalt einen Spielpartner auf Augenhöhe hat. Timo Berndt hat für die Reihe auch schon Drehbücher geschrieben, deren Raffinesse überschaubar war, aber in der Regel sind Filme nach Vorlagen des "Sarah Kohr"-Autors immer sehenswert.
Die Inszenierung besorgte Oliver Schmitz. Die umfangreiche Filmografie des erfahrenen Regisseurs enthält zwar auch Dramen und Krimis, aber sein Schwerpunkt liegt klar bei Komödien und witzigen Serien; das Spektrum reicht von "Türkisch für Anfänger" über "Doctor’s Diary" bis zu "Das Pubertier". Seine "Marie Brand"-Premiere ist daher deutlich lustiger als viele Episoden aus der jüngeren Zeit. Gerade Schönemann, dessen Simmel-Humoresken zuletzt allzu routiniert wirkten, hat vom frischen Blick profitiert.
Der Film beginnt mit einem klassischen Krimi-Auftakt: Im Müll wird eine Leiche entdeckt. Das klingt abgenutzt, aber Schmitz hat den Einstieg mit ganz schön viel Wumms inszeniert. Außerdem gibt es umgehend einen Kontrapunkt, denn Staatsanwalt Engler empfängt Simmel mit Leichenbittermiene. Vor dem Haus, in dem Brand wohnt, steht ein Leichenwagen, Engler spricht von einer Tragödie.
Simmel rechnet mit dem Schlimmsten, aber es handelt sich nur um einen Wasserrohrbruch. Diese Ebene wird sich als roter Faden durch die Geschichte ziehen, denn kurz drauf ist Brands Mobiliar verschwunden, weshalb Engler, ihr Vermieter, fortan am Rande des Nervenzusammenbruchs balanciert, weil er sich dafür verantwortlich fühlt. Auf diese Weise kann Berndt die komischen Zwischenspiele clever mit der Krimihandlung verknüpfen, denn das Sammeln, Sortieren und Recycling von Müll ist der zentrale Aspekt von "Marie Brand und der entsorgte Mann".
Auch in dieser Hinsicht zeigt sich die Qualität des Drehbuchs: Während viele Krimis mit derart thematischen Schwerpunkten gern mal in ein Proseminar ausarten, hat der Autor die vielen Informationen geschickt in die Dialoge integriert. Außerdem sind die Ausführungen hochinteressant: Wer weiß schon, was tatsächlich mit dem daheim brav getrennten Verpackungsmüll passiert?
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Und dann ist da ja noch der eigentliche Krimi: Brand und Simmel brauchen nicht lange, um zu erkennen, dass der Fall aus gleich mehreren Wespennestern besteht. Ihre Ermittlungen konfrontieren sie mit einem Müllkönig, der den Abfall offenbar lieber nach Asien exportiert, als ihn hierzulande wiederzuverwerten, derzeit aber vor allem um seine Ehe kämpft; mit einer Umweltorganisation, die ihre Ziele nicht nur mit lauteren Methoden verfolgt; mit einem letztlich tödlichen Unfall, der ein Jahr zurückliegt und damals eine emotionale Kettenreaktion ausgelöst hat; und mit vier Frauen, die in beide Vorfälle involviert sind und aus unterschiedlichsten Gründen nicht die Wahrheit sagen.
Die Geschichte ist allein wegen der vielen Figuren, die allesamt mehr als bloß eine Randnotiz sind, für einen Reihenkrimi erstaunlich komplex. Berndts bester Einfall ist dennoch Annika (Laura Louisa Garde): Simmel hat seine neue Freundin über ein Online-Portal kennen gelernt und seinen Status als "frisch getrennt" angegeben. Seine vermeintlich Verflossene ist niemand anders als Marie Brand, was prompt zu allerlei Heiterkeiten führt, als die beiden Frauen aufeinandertreffen. Wie sich die Kollegin mit kleinen Gemeinheiten für die Mogelei revanchiert, beschert dem Film einige ausgesprochen witzige Szenen.
Maßgeblichen Anteil an der Qualität des Films hat nicht zuletzt die durchwegs interessante und ausnahmslos treffende Besetzung, allen voran mit Joachim Raaf als "Müllkönig", Tanja Schleiff als dessen Gattin, Vidina Popov und Ricarda Seifried als Öko-Aktivistinnen sowie Ceci Chuh als Freundin des zweiten Opfers. Wie das Quintett dieser Figuren miteinander verwoben ist, weil sie allesamt gegeneinander intrigieren und sich gegenseitig observieren, ist allerdings nicht immer leicht zu durchschauen.
Abgerundet wird die gute Gesamtqualität durch eine sorgfältige Bildgestaltung; Kameramann Paul Pieck gelingt es sogar, den Müllbergen im Nebel ein Flair von Romantik abzugewinnen.