Zum Höhepunkt der diesjährigen Ostermärsche ist eine Debatte über die Haltung der Friedensbewegung zum Krieg in der Ukraine entbrannt. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) appellierte an die Teilnehmer, bei ihren Aktionen deutlich zu machen, "dass sie sich gegen Putins Krieg richten". Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) warnte vor "Pazifismus auf Kosten anderer". Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff nannte die Ostermarschierer "die fünfte Kolonne Putins".
Die Friedensbewegung wies die Anschuldigungen zurück und betonte, sie verurteile den russischen Angriffskrieg und fordere einen sofortigen Waffenstillstand und den Rückzug der russischen Truppen. Zugleich warne sie aber vor einer gefährlichen Eskalation etwa durch Waffenlieferungen und werbe für eine Verhandlungslösung. Unterstützung erhielten die mehreren tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer der fast 80 Ostermärsche am Samstag von der ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, und von der Linken.
Habeck sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag), Frieden könne es nur geben, wenn der russische Präsident Wladimir Putin den Krieg stoppe. Für ihn sei "Pazifismus im Moment ein ferner Traum". Putin habe mit allen Regeln des Völkerrechts gebrochen und die Ukraine angegriffen, damit bedrohe er auch die Freiheit Europas. "Kriegsverbrechen sind offenkundig Teil seiner Kriegsführung", beklagte Habeck. "Für mich gilt, dass Zuschauen die größere Schuld ist."
Thierse: "Arroganz gegenüber Menschen in Ukraine"
Thierse verurteilte im Bayerischen Rundfunk das langjährige Motto der Friedensbewegung "Frieden schaffen ohne Waffen" als Arroganz gegenüber den Menschen in der Ukraine und fügte hinzu: "Pazifismus auf Kosten anderer ist zynisch." Die Ukraine habe das Recht, Unterstützung für seine Selbstverteidigung zu fordern. Lambsdorff, FDP-Fraktionsvize im Bundestag, beschuldigte die Ostermarsch-Organisatoren im WDR-Radio, sie seien keine Pazifisten, sondern "Interessenvertreter der russischen Position" und versuchten, den Westen zu schwächen und die Ukraine zu diskreditieren.
Der Sprecher des Netzwerks Friedenskooperative, Kristian Golla, wies die Anschuldigungen Lambsdorffs als reine Polemik zurück. Das Netzwerk koordiniert die lokal und regional verantworteten Aktionen der Friedensbewegung. In den Aufrufen zu den Ostermärschen werde durchgängig der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine als völkerrechtswidriges Verbrechen verurteilt, hieß es. Die Bewegung wende sich aber auch gegen wachsenden Militarismus.
Die Theologin Margot Käßmann verteidigte die Friedensdemonstrationen. Es sei nicht gerecht, Menschen, die sich seit Jahrzehnten für Frieden einsetzten, vorzuwerfen, sie stünden auf der Seite Russlands, sagte sie auf NDR Info. Mehr Waffenlieferungen würden auch aus ihrer Sicht nicht zu einem Ende des Krieges führen, betonte die frühere EKD-Ratsvorsitzende. "Wann wird definiert, dass jemand Kriegspartei ist? Wenn eigene Soldaten dort tätig sind? Oder wenn eigene Waffen dort eingesetzt werden?" Die größte Gefahr sei im Moment, "dass dieser Konflikt so eskaliert, dass Nato-Staaten tatsächlich Kriegspartei werden", dann könnten auch Atomwaffen eingesetzt werden, warnte Käßmann.
Sie forderte mehr Druck auf zivilgesellschaftliche Organisationen in Russland.
Für Sevim Dagdelen, abrüstungspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, setzen die Ostermärsche ein wichtiges Zeichen für die Beendigung des Krieges in der Ukraine, den Rückzug der russischen Truppen und die Verhinderung einer militärischen Konfrontation zwischen der Nato und Russland.
"Wer dagegen immer mehr Waffen in das Kriegsgebiet Ukraine liefern will, setzt auf Eskalation und riskiert eine Kriegsbeteiligung Deutschlands", erklärte sie. "Dieser Wahnsinn muss verhindert werden." Wer wie die EU und die Nato analog zu Russland auf eine militärische Lösung setze, gieße weiter Öl ins Feuer: "Es ist gut, das die Ostermärsche gegen Eskalation, Waffenlieferungen und Wirtschaftskrieg deutlich Nein sagen."