Fast alle großen Komödien haben einen tragischen Kern; oft machen nur Nuancen den Unterschied zum Drama aus. Der komische Effekt entsteht meist durch äußere Einflüsse, die für unerwartete Wendungen der Geschichte sorgen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Komödie ist Tragödie plus Zeit", heißt es in Woody Allens Film "Melinda und Melinda" (2004): weil sich die Komik oft erst im Rückblick erschließt. "Komödie ist Tragödie plus Abstand" würde es noch besser treffen, denn für Außenstehende sind bestimmte Ereignisse durchaus erheiternd; für die Betroffenen dagegen eher nicht. Deshalb wirkt es sich prompt kontraproduktiv aus, wenn auch die Figuren lustig angelegt sind; und das ist das große Manko von "Familienerbe".
Die Handlung beginnt mit den Vorbereitungen eines Festes. Drei Geschwister wollen ihre Eltern anlässlich eines runden Hochzeitstags mit einer Feier überraschen, doch dazu kommt es nicht: Die beiden werden Opfer eines tragischen Unfalls; prompt streiten sich die Kinder um das traumhaft am Wasser gelegene Elternhaus. In ihrem Testament haben sich Georg und Regine, in Gastrollen von Walter Kreye und Sabine von Maydell verkörpert, gegenseitig bedacht; dass sie beide sterben könnten, ist ihnen offenbar nicht in den Sinn gekommen.
Weil Georg seinen Verletzungen erst einige Tage nach dem Unfall erlegen ist, ergibt sich eine Konstellation, bei der Maren (Ulrike C. Tscharre) leer ausgehen würde: Georg hat sie zwar wie ein eigenes Kind großgezogen, aber sie ist nicht seine leibliche Tochter, und er hat sie nie adoptiert. Erben würden daher nur Leonie (Christina Hecke) und Mattes (Lucas Prisor); also kehrt Maren das Testament buchstäblich unter den Teppich.
Weil der Erbstreit allein nicht genug Stoff für neunzig Minuten hergeben würde, hat Simone Kollmorgen ihr Drehbuch um zwei Nebenebenen ergänzt: Leonie ist Gender-Wissenschaftlerin, wehrt sich gegen eine konkrete geschlechtliche Zuordnung und besteht darauf, Leo genannt zu werden. Außerdem ist sie lesbisch und mit ihrer amerikanischen Assistentin Lissai (Ivy Quainoo) liiert, was sie aber aus unerfindlichen Gründen nicht zugeben will. Darüber hinaus kommt es ständig zu Zusammenstößen mit Marens Mann Torsten (Torben Liebrecht), dessen Intoleranz mitunter reaktionäre Züge annimmt.
Das soll im Rahmen des Films vermutlich ironisch wirken, könnte aber nach hinten losgehen, weil Torsten zumindest dem konservativen Teil des ohnehin eher älteren ARD-Publikums mit seinen Aussagen zum "Gender-Wahn" aus der Seele sprechen dürfte. Auffällig ist auch, wie sich die Kamera (Friederike Heß) an Lissais Körper ergötzt. Damit übernimmt sie zwar Torstens Perspektive, aber dieser sexuelle Blick auf die einzige dunkelhäutige Frau im Ensemble ist zumindest fragwürdig.
Für weitere Verwicklungen sorgt eine junge Künstlerin, die von Georg und Regine mit einem Stipendium bedacht worden ist. Erst spät erfahren die Geschwister, was das Publikum längst ahnt: Judith (Anne-Marie Lux) ist das Ergebnis eines gut dreißig Jahre zurückliegenden Seitensprungs von Georg. Damit kompliziert sich nicht nur die erbliche Gemengelage: Mattes hat sich auf Anhieb in seine Halbschwester verliebt.
Aus all’ dem hätte ein sympathischer Zeitvertreib werden können, zumal der Stoff bei Holger Haase in den besten Händen zu sein schien. Die ARD hat kürzlich seinen Freitagsfilm "Freundschaft auf den zweiten Blick" gezeigt, eine famos gespielte, sehr berührende Tragikomödie mit Jürgen Heinrich als Witwer, dessen Frau beizeiten dafür gesorgt hat, dass er den Anschluss ans Leben nicht verpasst. Zuletzt hat Haase vorwiegend Beiträge für die nicht minder sehenswerte ZDF-Reihe "Ella Schön" (mit Annette Frier als autistische Juristin) gedreht. Auch seine überwiegend für Sat.1 entstandenen früheren Komödien ("Bollywood lässt Alpen glühen") waren ausnahmslos ein großes Vergnügen.
In Haases Filmografie gab es bislang nur einen Ausreißer: Die ARD-Komödie "Ein Dorf rockt ab" (2017) über ein Heavy-Metal-Festival in der Provinz hat ihr Potenzial verschenkt, weil die Gags mit dem Vorschlaghammer inszeniert waren. "Familienerbe" leidet unter einer ähnlichen Unzulänglichkeit: Ausgerechnet Hauptdarstellerin Ulrike C. Tscharre, die sich in vielen Filmen als Meisterin der Zwischentöne profiliert hat, übertreibt ihren mimischen Eifer maßlos; auch ihr ausgeprägter schwäbischer Dialekt soll vermutlich als Comedy-Signal fungieren. Torben Liebrecht schießt als Torsten ebenfalls mehrfach übers Ziel hinaus. Schön anzuschauen sind allerdings die Seeaufnahmen; aber das ist auch das Mindeste, was man von einem Bodenseefilm erwarten darf.