Personenschützer müssen bereit sein, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um zum Beispiel das eines Politikers zu retten. Aber was, wenn diese bedingungslose Loyalität infrage gestellt wäre, weil sich der Politiker einen unverzeihlichen Fehltritt erlaubt hat und der Leibwächter vermuten muss, dass sich hinter der Fassade des populären Ehrenmannes ein ganz anderer Mensch verbirgt? Im Fall eines Angriffs muss sich der Personenschützer zwischen den Attentäter und seinen Schutzbefohlenen werfen, er darf nicht eine Sekunde zögern. Erst recht darf er in diesem Moment nicht darüber nachdenken, ob der Mann es überhaupt wert ist, sein Leben für ihn zu riskieren.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Dieses Gedankenexperiment hat Annika Tepelmann, die zuletzt das Drehbuch für einen packenden zweiteiligen "Taunuskrimi" nach Nele Neuhaus geschrieben hat ("Muttertag"), in eine Handlung übertragen, die aus der Theorie eine fesselnde Praxis macht. Obwohl es erst gegen Ende tatsächlich zu einer lebensbedrohlichen Situation kommt, bringt "Trügerische Sicherheit" alles mit, was einen guten Thriller auszeichnet.
Dennoch ist die Spannung zunächst eher Kopfsache, denn in der ersten Hälfte des Films stellt sich die Frage, wie sich Jonas Neimann (Max Simonischek) im Fall der Fälle verhalten würde, gar nicht: Eigentlich sollen Personenschützer keine emotionale Bindung zu ihren Schutzbefohlenen aufbauen, weil das bei einer Gefahrensituation die Handlungsschnelligkeit beeinträchtigen könnte, aber Neimann ist Landesminister Magnus Mittendorf (Christian Berkel) zu persönlichem Dank verpflichtet. Sein Leben hat nur einen kleinen Schönheitsfehler: Die Beziehung zwischen ihm und Katharina Borba (Friederike Becht), der für die digitalen Medien zuständigen neuen Mitarbeiterin in Mittendorfs Pressestab, muss geheim bleiben.
Der gerade neben Christian Berkel hünenhaft wirkende Max Simonischek ist mit seiner düsteren Aura die perfekte Besetzung für die Hauptrolle. In kühlen, aber sorgsam gestalteten Bildern schildert Regisseur Thomas Kronthaler den Alltag eines Personenschützers, der in Sekundenbruchteilen entscheiden muss, ob von einem bärtigen Mann mit Kinderwagen oder zwei verdächtigen Männern auf einem Motorrad eine Gefahr ausgeht. Mindestens genauso interessant ist die Figur des Politikers, was nicht zuletzt an Christian Berkel liegt: Er verkörpert den Minister zwar als Sympathieträger, lässt dabei aber stets eine Spur des Zweifels, ob die Bürgernähe dieses Mannes nicht bloß Taktik ist.
Gleichzeitig verdeutlicht der Film die zwiespältige Rolle des Personenschützers: Neimann verbringt mit Mittendorf mehr Zeit als dessen Familie und wird bei Autofahrten zwangsläufig Ohrenzeuge von privaten Telefonaten. Auf diese Weise erfährt er Dinge, die nicht mal die Ehefrau weiß. Selbstverständlich ist er zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet. Er kriegt alles mit, muss sich aber wie die drei Affen verhalten: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.
Nebenbei lässt Tepelmann auch noch allerlei faszinierende Einblicke in die Hinterzimmer der Macht einfließen. Es ist Wahlkampf, weshalb Neimann seinen Job aufgrund der diversen öffentlichen Termine Mittendorfs noch konzentrierter als sonst erledigen muss. Als Katharina ihren Chef mit Informationen versorgt, mit denen Mittendorf während einer TV-Talkshow einen Konkurrenten bloßstellen kann, feiert das Team, als hätte es bereits die Wahl gewonnen. Im Verlauf dieser Nacht, in der der Alkohol in Strömen fließt, kommt es zu einem Vorfall, der Neimanns Gewissheiten in ihren Grundfesten erschüttert; und im Grunde geht der Film jetzt erst richtig los.
Mindestens so reizvoll wie die Idee, eine Figur ins Zentrum zu stellen, die nicht mehr Worte macht als nötig und sich äußerlich selten anmerken lässt, was in ihr vorgeht, ist der eigentliche Handlungskern: "Trügerische Sicherheit" erzählt eine klassische "MeToo"-Geschichte, aber nicht aus Sicht des Opfers, das ohnehin keins sein will, sondern aus der Perspektive eines nur mittelbar betroffenen Mannes.
Diesen Dramenstoff in ein gänzlich anderes Genre zu transferieren ist nicht minder reizvoll: Zum Auftakt bedient sich Kronthaler typischer Action-Elemente. Für den Regisseur ist das Thriller-Drama nach diversen Komödien und Sonntagsfilmen im ZDF ("Frühling") ohnehin ein ungewöhnliches Werk, wenn auch nicht hinsichtlich der Qualität: Seine Arbeiten, darunter zuletzt unter anderem zwei ausgezeichnete "Wilsberg"-Episoden, sind auch dank der stets vorzüglichen Bildgestaltung durch seinen Stammkameramann Christoph Oefelein ohnehin in der Regel sehenswert.