In den deutschen Sonntagskrimis geht es oft um große Themen; die Filme sollen nicht bloß spannende Unterhaltung bieten, sondern auch eine gewisse Relevanz haben.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der "Tatort" aus Wien kommt meist weniger moralisch daher. Hier bezieht sich Größe dafür gern auf die Aufgaben, mit denen Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und seine Kollegin, Majorin Bibi Fellner (Adele Neuhauser), konfrontiert werden; mitunter muss auch mal, etwas übertrieben formuliert, die Welt gerettet werden, und nicht selten sitzen die Drahtzieher in den höchsten Kreisen. Gemessen daran ist Eisners 52. Herausforderung – Fellner ist erst seit Episode 24 seine Partnerin – weder aufregend noch spektakulär.
Trotzdem ist die Geschichte ungewöhnlich, zumal sie nach gut zwanzig Minuten auserzählt scheint: Der nur bedingt sympathische, aber unbescholtene Beamte Stefan Weingarnter (Johannes Zeiler) hat in 27 Berufsjahren nicht einen Tag krankheitsbedingt gefehlt; aber irgendwann ist immer das erste Mal. Nachdem er sein Frühstück dem Büropapierkorb anvertraut hat, fährt er wieder heim und wird auf diese Weise Zeuge eines Gesprächs, in dem die Gattin ihrer besten Freundin sehr detailliert von einer leidenschaftlichen Affäre mit ihrem Fitnesstrainer berichtet. Sekunden später sind die beiden Frauen tot.
Der Fall ist klar, zumal der Ehemann unmittelbar nach dem Doppelmord die Polizei verständigt hat. Allerdings hat er keinerlei Erinnerung an den Hergang der Ereignisse, weshalb es einige Zeit später dank der cleveren Strategie seines Anwalts zu einem aufsehenerregenden Freispruch kommt: Weil Weingartner, ein frommer Katholik, der die Tat zutiefst bereut, in diesem Moment nicht zurechnungsfähig war, wird die Mordanklage abgewiesen. Vorsatz kann ihm ohnehin nicht unterstellt werden, denn dann hätte er die Frauen höchstwahrscheinlich nicht mit einem Küchenmesser, sondern mit dem Revolver getötet, den er in einem Tresor aufbewahrt.
Der erste Akt des Films endet mit der Freilassung, wofür der empörte Eisner keinerlei Verständnis hat; Leute wie dieser Anwalt gehören seiner Ansicht nach aus dem Verkehr gezogen. Der zweite Akt beginnt mit der Erfüllung dieses Wunsches: Kurz drauf wird der Jurist tot an seinem Schreibtisch gefunden, erschossen mit einer Waffe, die höchstwahrscheinlich Weingartners Revolver entspricht. Der Beamte selbst ist verschwunden, der Tresor ist leer, und nun wird "Alles was Recht ist" doch noch zum Krimi.
Aber warum sollte der Mann ausgerechnet den Anwalt töten, der ihn vor der Haftstrafe bewahrt hat? Langjährige Fans von Eisner und Fellner werden sich allerdings eine ganze andere Frage stellen: Was hat Inkasso-Heinzi mit dem Fall zu tun?
Als Simon Schwarz 2011 erstmals in die Rolle des zwar mit allen Abwassern gewaschenen, aber irgendwie drolligen Zuhälters schlüpfte, war er zumindest hierzulande noch längst nicht so beliebt, wie er spätestens seit seiner Mitwirkung als Privatdetektiv in den "Eberhofer-Krimis" an der Seite von Sebastian Bezzel oder als Arzt im Rollstuhl in der ARD-Reihe "Die Eifelpraxis" ist.
"Ausgelöscht" war damals Bibi Fellners zweiter Fall und Heinzi so etwas wie ihre erzählerische Mitgift. Seither hat es sich Schwarz trotz seiner mittlerweile großen Popularität und entsprechend vieler Engagements nicht nehmen lassen, den ohnehin oft witzigen ORF-"Tatort" immer wieder mal um kleine Heiterkeiten zu bereichern.
Gut zehn Jahre nach dem ersten Auftritt erzählt Fellner ihrem Kollegen endlich, woher ihre innige Verbindung zu dem Ganoven rührt, der regelmäßig vom rechten Weg abkommt. Auch diesmal sitzt Heinzi wieder im Gefängnis, dort hat er auch Weingartner kennen gelernt, der ihn davor bewahrt hat, von zwei Mitinsassen übel verprügelt zu werden. Außerdem weiß er ein Detail zu berichten, das das Duo auf eine völlig neue Spur bringt.
Abgesehen von den beiden unerwarteten Wendungen folgt "Alles was Recht ist" allerdings den üblichen Krimikonventionen (Buch: Karin Lomot, Robert Buchschwenter): Es gibt diverse Verdächtige, deren Alibis überprüft werden und der Reihe nach platzen. Deshalb gerät Weingartners Tochter (Noemi Krausz) ebenso ins Visier wie eine serbische Verbrecherin (Anja Struc), die womöglich eine offene Rechnung zwischen dem Juristen und ihrer Nichte beglichen hat. Die Inszenierung von "Soko Kitzbühel"-Regisseur Gerald Liegel ist ebenfalls nicht weiter bemerkenswert; immerhin ist die Bildgestaltung (Gero Lasnig) sehr sorgfältig. Sehenswert ist der Film ohnehin, denn selbst die schwächeren ORF-Krimis sind dank Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser niemals Zeitverschwendung; und diesmal natürlich auch wegen Simon Schwarz.