Die Hochsommerbilder sind sonnendurchflutet, das Licht wirkt mediterran, und tatsächlich sind die Aussichten mehr als heiter für Lauterbronn. Der württembergischen Kleinstadt kommen zwar wie die Betriebe und damit nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch die Perspektiven für die Jugend abhanden, aber Bürgermeister Martin Sommer (Sebastian Bezzel) hat eine Lösung gefunden, die blühende Landschaften verheißt, denn Lauterbronn besitzt einen Schatz: Der internationale Konzern PureAqua möchte das Recht kaufen, eine unterirdische Quelle anzuzapfen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Rainer Gebhardt (Ulrich Tukur), Deutschlandchef des Unternehmens, kommt Sommer in jeder nur erdenklichen Hinsicht entgegen. Alles spricht für eine "Win/Win"-Situation, wie es im Wirtschaftsjargon heißt: Beide Seiten würden profitieren. Aber nicht nur der Titel, "Bis zum letzten Tropfen", auch der Prolog verdeutlicht, dass sich die Dinge womöglich doch nicht so rosig entwickeln: Der Film beginnt mit einer Protestaktion auf dem Marktplatz, in deren Verlauf sich ein Bauer mit Benzin überschüttet und anzündet; ein Fanal im wahrsten Sinne des Wortes.
Daniel Harrich ist einer der wenigen deutschen Regisseure, die sich in ihren Arbeiten regelmäßig mit hochbrisanten Themen befassen. Dabei gelingt es ihm stets, komplizierte Zusammenhänge verständlich zu erzählen, ohne sie zu vereinfachen. Seine Werke sind gleichermaßen anspruchsvolle wie packende Spielfilme: "Meister des Todes" (2015) prangerte fragwürdige deutsche Waffenlieferungen in Krisenregionen an, "Gift" (2017) handelte vom milliardenschweren Handel mit gefälschten Medikamenten; zuletzt beschrieb er mit dem Polit-Thriller "Saat des Terrors", wie westliche Geheimdienste den islamistischen Terrorismus groß gemacht haben.
Wasser scheint in diesem Zusammenhang vergleichsweise harmlos, aber wer den Dokumentarfilm "Bottled Life – Nestlés Geschäfte mit dem Wasser" (2012) über die Machenschaften des größten Nahrungsmittelkonzerns der Welt kennt, der weiß um die Brisanz dieses Sujets. Der Schweizer Film beschreibt, wie sich das Unternehmen überall ausbreitet und den Menschen verkauft, was sie vorher praktisch umsonst bekamen. In Pakistan und Nigeria hat das Geschäft mit dem Durst dazu geführt, dass ausgerechnet die Ärmsten der Armen kein Trinkwasser mehr haben, weil der Grundwasserpegel gesunken ist und Brunnen versiegt sind. Im französischen Vittel muss mit öffentlichen Geldern eine Pipeline gebaut werden, um die Bevölkerung mit Wasser zu versorgen.
Entsprechende Bedenken treiben auch die Menschen in Lauterbronn um, aber Sommer kann sie beruhigen, denn Hydrologin Amira König (Neda Rahmaninan) hat ein Gutachten erstellt, dass sogar einen gegenteiligen Effekt verspricht: PureAqua würde sich nur beim Tiefgrundwasser bedienen, das Grundwasser würde steigen. Das wäre auch bitter nötig: Der Sommer ist heiß, Tümpel und Teiche sind längst ausgetrocknet.
Bis vor einiger Zeit wäre das alles aus hiesiger Sicht noch weit weg gewesen, und gerade im letzten Jahr waren die Schlagzeilen nicht von Wassermangel, sondern von Fluten und Überschwemmungen geprägt; aber auch Deutschland muss sich darauf einstellen, dass die Wasserversorgung in Zukunft keine Selbstverständlichkeit mehr sein wird.
Natürlich verurteilt Harrich (Buch und Regie) die miesen Tricks der Beteiligten sowie die unheilige Allianz zwischen Konzern und Politik (repräsentiert durch Karoline Schuch als Mitarbeiterin des Umweltministeriums), aber den Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern verlagert er geschickt in Sommers engstes Umfeld.
Auf diese Weise greift er ein Zeitphänomen auf, das spätestens durch die Corona-Pandemie virulent geworden ist: Unvereinbare Positionen zerstören Freundschaften und lassen Familien zerbrechen. Zu Beginn hat der verwitwete Bürgermeister noch ein ausgezeichnetes Verhältnis zu seiner Teenagertochter, aber der Streit ums Wasser entzweit die beiden. Ava (Hannah Schiller) verweist auf das skrupellose Verhalten von PureAqua in anderen Ländern und solidarisiert sich mit Bauer Schultz (Michael Roll). Das Land, auf dem der Brunnen gebaut werden soll, gehört zwar Sommer, aber Schultz hat es gepachtet; er und sein Bruder Alex (Sebastian Urbanski) sind zudem quasi Teil der Familie, Ava und Alex sind ein Herz und eine Seele. Umso furchtbarer ist die Tragödie, die sich schließlich ereignet.
Trotz des fesselnd bearbeiteten ernsten Themas hat es sich Harrich nicht nehmen lassen, dem Film eine zuweilen fast heitere Verpackung zu geben: Die moderaten Western-Elemente bereiten viel Freude. Neben der farblich satten Bildgestaltung (Michael Praun) ist "Bis zum letzten Tropfen" allerdings auch und gerade wegen des Ensembles sehenswert.
Ulrich Tukur ist als jovialer Konzernmanager die ideale Besetzung für einen Wolf im Schafspelz. Sebastian Bezzel ist als Bürgermeister, der gutgläubig einen Pakt mit dem Teufel eingeht, am Ende jedoch einsehen muss, dass er auch als Vater völlig versagt hat, eine nicht minder gute Wahl. Erneut ganz vorzüglich ist Hannah Schiller, die zuletzt bereits als Titeldarstellerin des ARD-Dramas "Eine fremde Tochter" imponiert hat.
Das "Erste" zeigt den Film im Rahmen des Programmschwerpunkts "Unser Wasser". Im Anschluss (21.45 Uhr) dokumentiert Harrich die Wirklichkeit hinter der Fiktion; kein Wunder, dass er den Film mit einer bitteren Schlusspointe enden lässt.