Als die ARD 2008 "Mord mit Aussicht" ins Quotenrennen schickte, waren die Erwartungen überschaubar: Zumindest beim anspruchsvollen Publikum hatte das "Erste" im Serienbereich dank seichter Produktionen wie "Der Winzerkönig" oder "Familie Dr. Kleist" keinen besonders guten Ruf. Nach "Berlin, Berlin" (2002 bis 2005) war es zudem keiner ARD-Serie mehr gelungen, Qualität und Quote unter einen Hut zu bringen.
Auch die Zahlen von "Mord mit Aussicht" waren zunächst nicht berauschend, aber das änderte sich, als die Serie vom Montag auf den Dienstag verschoben wurde. Plötzlich funktionierten die von Marie Reiners erdachten Krimi-Geschichten aus der Provinz: gewaltfrei und mäßig spannend, aber mit schrägen Figuren, verblüffendem Mutterwitz und einem ausgezeichneten Ensemble.
Prompt avancierte das Konzept zum Vorbild für eine Neuausrichtung des Vorabends, wo das "Erste" ab Herbst 2011 unter dem Markennamen "Heiter bis tödlich" lauter Provinz-Krimis zeigte. Das Original brachte es auf drei Staffeln und endete 2014; im Jahr drauf folgte noch ein 90 Minuten langer Film.
Nun ist "Mord mit Aussicht" wieder da. Erneut wird eine Kriminalhauptkommissarin von Köln ins Eifeldorf Hengasch (Kreis Liebernich) versetzt, wo sie sich mit ebenso bornierten wie fremdenfeindlichen Einheimischen auseinandersetzen muss, wobei sich der Begriff "Fremde" sich keineswegs auf Menschen mit ausländischen Wurzeln beschränkt.
Einige Mitwirkende aus der ursprünglichen Serie sind auch diesmal dabei, darunter Petra Kleinert als inoffizieller Dorfboss oder Michael Hanemann als pensionierter Polizist. Auch die Konstellation der drei Hauptfiguren ist geblieben: hier die neue Chefin, Marie Gabler (Katharina Wackernagel), dort ein uniformiertes Duo, dessen mangelnder Arbeitseifer nur noch durch fehlende Intelligenz übertroffen wird. Darin liegt allerdings eine Schwäche der neuen Folgen: Bei Bjarne Mädel und Meike Droste waren diese Rollen witzig, bei Sebastian Schwarz und Eva Bühnen sind sie eher klamottig; Polizeiobermeister Fuss, dem ein Wettbewerb im Bierkastenquerstapeln im Zweifelsfall wichtiger ist als eine Ermittlung, und Kommissarsanwärterin Dickel stammen allzu sehr aus der Abteilung "Dumm & Dümmer".
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Außerdem müssen die sechs Folgen zwangsläufig ohne den Überraschungseffekt der ursprünglichen Geschichten auskommen. Der WDR hatte das Genre "Krimikomödie aus der Provinz" damals zwar nicht neu erfunden, doch ein gewisser Solitär war "Mord mit Aussicht" 2008 durchaus; mittlerweile folgt von "Nord, Nord Mord" über "Friesland" (beide ZDF) bis zu "Nord bei Nordwest" und "Harter Brocken" (beide ARD) eine Vielzahl abendlicher Krimi-Filmreihen diesem Prinzip.
Die Bücher stammen diesmal von Johannes Rotter. Der Autor ist für "Kehrtwende" (2011), ein Drama mit Dietmar Bär über häusliche Gewalt, mit dem Robert Geisendörfer Preis ausgezeichnet worden und hat in der Serie die Rolle des Pastors übernommen.
Regie führte Markus Sehr. Bei dessen Arbeiten für "Friesland" war allerdings kaum noch etwas von jenem Talent zu sehen, das einst sein Regie-Debüt "Eine Insel namens Udo" (2011), eine schräge Kinokomödie mit Kurt Krömer, ausgezeichnet hat; der makabre Tonfall von "Harter Brocken" scheint ihm eher zu liegen. Der Humor von "Mord mit Aussicht" ist zwar vergleichsweise unsubtil, funktioniert aber auch mal mit cleverer Verzögerung oder mit Hilfe eines Schnitts. Für Tempo sorgt dagegen vor allem die flotte Musik.
Und so leben die sechs Folgen neben der Kernidee von der Außenseiterin, die sich Respekt verschaffen muss, ihre Versetzung in das Eifeldorf aber ohnehin nur als Exil auf Zeit versteht, in erster Linie von den einfallsreichen Geschichten und der Devise "Mensch bleiben".
Für die Qualität der Bücher spricht auch die zum Teil prominente Besetzung, darunter Felix Vörtler als Chef der Feuerwehr, Kai Schumann als Schweinebauer, der für den Werwolf von Hengasch gehalten wird, und Michael Wittenborn als vermeintlicher Frauenmörder: Natürlich geht es aller Idylle zum Trotz auch in der vierten Staffel wieder um Mord und Totschlag. Die Spannung hält sich trotzdem in Grenzen, selbst wenn in der Folge "Brenne Hengasch" die Dorfkinder Opfer eines grausamen Racheplans werden sollen. Spaß machen neben den kleinen Slapstick-Einlagen vor allem die Details, die sich mitunter nur bei genauem Hinschauen erschließen.
Unterm Strich ist die vierte Staffel der Erfolgsserie zwar kurzweilig, aber in erster Linie harmlos-heiter; "Dramatik und Nervenkitzel" gibt’s hier nur beim Kneipenquiz. Ob es eine fünfte Staffel geben wird, macht der WDR vom Erfolg der vierten abhängig.