Anstatt ein altes Haus abzureißen und zwei neue zu bauen gäbe es eine Alternative, die deutlich preiswerter und ökologisch sinnvoller ist: Wie wäre es, die unzähligen Garagendächer zu nutzen und darauf sogenannte Tiny Houses zu errichten? Natürlich wird das nicht bei jeder Garage funktionieren, und deren Besitzer werden vermutlich nicht ausnahmslos begeistert sein; aber die Idee klingt in ihrer Schlichtheit erst mal brillant. Das ist allerdings nur eine Ebene des interessanten "37 Grad"-Films, und weil in den ZDF-Reportagen grundsätzlich menschliche Schicksale im Vordergrund stehen, geht es in diesem Handlungsstrang nicht zuletzt um die Nöte einer Frau, die vor dem Nichts steht, als ihre Mietwohnung ohne Vorwarnung gekündigt wird.
Im Rahmen der Reihe ist dieser Beitrag eher ungewöhnlich, weil es nicht um große Gefühle, sondern ums kleine Wohnen geht. "Tiny" heißt winzig, und tatsächlich sind diese Domizile im Grunde kaum größer als ein großzügiges Wohnmobil. Die Bewegung stammt aus den USA, und "Bewegung" ist durchaus wörtlich zu verstehen: Einige dieser Minihäuser haben sogar Räder.
Weil in Esslingen jedoch keine Stellplätze für solche Unterkünfte vorgesehen sind, kam Theaterpädagogin Angelina auf die Idee mit den Garagendächern. Ihre Argumentation ist plausibel: Ein Auto beansprucht ständig zehn Quadratmeter Platz, ganz egal, ob es sich in der Garage oder auf einem Parkplatz befindet; aus ihrer Sicht hat es damit mehr Lebensrecht, als sie für sich selbst beansprucht. Außerdem empört es sie zutiefst, dass sich Menschen, die wichtige Beiträge für die Gesellschaft leisten, die Miete in den Städten nicht mehr leisten können.
Broka Herrmann stellt in den drei Handlungssträngen seines Films vier Personen vor, die jeweils ganz unterschiedliche Träume vom kleinen Wohnen haben. Für Angelina geht es um die Existenz, seit einem Jahr engagiert sie sich in ihrer Heimatstadt für ihre Idee.
Für den 14jährigen Florian aus Freising geht es dagegen "nur" um ein Schulprojekt. Er war und ist fasziniert von der Philosophie eines nachhaltigen Lebens. Seit zwei Jahren investiert der Montessori-Schüler daher jede freie Minute in den Bau eines "Tiny Houses". In dieser Zeit ist er vom Kind zum jungen Mann gereift. Eine nicht ganz unerhebliche Rolle hat dabei der Vater gespielt, und das nicht nur als Geldgeber, immerhin hat der Spaß 20.000 Euro gekostet: Der Mann ist quasi vom Fach, er hat vor einigen Jahren die Branche gewechselt und baut seither Transporter in Wohnmobile um. Viel wichtiger ist jedoch selbstredend der emotionale Aspekt: Er ist ungeheuer stolz auf seinen Sohn, auch wenn er einräumt, dass er die Idee anfangs für eine Spinnerei gehalten habe. Die Kosten hat er als zinsloses Darlehen vorgestreckt, Florian zahlt sie zurück, wenn er dereinst eigenes Geld verdient.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die dritte Ebene ist deutlich radikaler und auch emotional komplexer. Nach dem Tod eines Kindes kurz vor der Geburt hat ein Allgäuer Paar vor einigen Jahren sein komplettes Dasein hinterfragt und sich entschlossen, die Wohnung zu kündigen, alle Fixkosten zu reduzieren und ein neues Leben in einem "Tiny House" zu beginnen. Der Mann ist Holztechniker und konnte daher sämtliche Arbeiten selbst ausführen. Weil sie fortan weniger Geld brauchten, musste er nur noch zwei Tage in der Woche arbeiten und hatte viel Zeit, um sich ausgiebig um die beiden Kinder kümmern.
Anfangs schien die Lösung ideal. Statt 700 Euro Miete zahlt die Familie nur noch 100 Euro für den Stellplatz, lebt im Einklang mit der Natur und zudem fast autark: Dank Photovoltaik produziert sie ihren Strom selbst; auf diese Weise wird auch das Wasser erhitzt. Das klappt aber natürlich nur, wenn die Sonne scheint, und so stellte sich offenbar nach und nach raus, dass der Traum vom "Tiny House" vor allem sein Traum war. 36 Quadratmeter für vier Personen können eine echte Herausforderung sein, von fehlenden Rückzugsmöglichkeiten ganz zu schweigen. Das Haus ist ein Musterbeispiel für Effizienz und wirkt dennoch sehr freundlich und gemütlich, aber Gefühle brauchen Platz, und weil Broka die Menschen in seinem Film über einen längeren Zeitraum immer wieder aufgesucht hat, nimmt die Ebene mit dem Allgäuer Paar ein unerwartetes Ende.
Angelina hat mehr Glück: Sie findet wichtige Unterstützung für ihre Idee; und Florian darf sich für sein Projekt zu Recht feiern lassen.