"Flucht durchs Höllental", ausgestrahlt im Herbst 2019, war ein Krimi mit erheblichem Spannungspotenzial, der unterm Strich jedoch wie eine Gefälligkeit des ZDF für Hauptdarsteller Hans Sigl wirkte: als habe der Österreicher nach vielen Jahren als "Bergdoktor" endlich mal einen Fiesling spielen wollen. Der Film war nicht fesselnd genug, stolperte über einige Logiklöcher und hatte darstellerische Schwächen.
Mit der Fortsetzung, "Der Feind meines Feindes", wird Marcus O. Rosenmüller seinem Ruf als Spannungsspezialist wieder gerecht. Das Drehbuch stammt diesmal von Produzent Hans-Hinrich Koch. Die Geschichte folgt dem vielfach bewährten Prinzip "Allein gegen die Mafia" und bedient sich ansonsten unbekümmert der gleichen Konstellation wie in "Flucht durchs Höllental".
Erneut soll Anwalt Klaus Burg wichtige Unterlagen preisgeben, wieder wird seine Tochter Alina als Geisel festgehalten, die Beamtin vom LKA mischt ebenfalls mit, eine attraktive junge Frau ist auch dabei, und wie schon im ersten Film ist die Rolle des Antagonisten im Grunde die interessantere. Was nach einem kalkulierten Konstrukt klingt, entpuppt sich jedoch als Thriller, in dem es praktisch keinen Leerlauf gibt.
Die Handlung beginnt auf Island, dort hat das LKA München Burg und Alina (Sofie Eifertinger hat die Rolle von Leonie Wesselow übernommen) im Rahmen eines Zeugenschutzprogramms untergebracht. Als sich die Tochter über die strikte Vorgabe, sich digital tot zu stellen, hinwegsetzt und anlässlich ihres Geburtstags ein Selfie an ihre beste Freundin schickt, tauchen im Handumdrehen zwei Killer auf. Die Situation scheint aussichtslos, doch die beiden Männer werden von zwei anderen erschossen, die den Anwalt und seine achtzehnjährige Tochter in Sicherheit bringen; auch wenn die Maßnahme eher wie eine Entführung wirkt.
Burg wird zu einem Geschäftsmann nach Italien geflogen. Gabriel Morales (Oliver Mommsen) hat der organisierten Kriminalität den Kampf angesagt. Seit Jahren wird der milliardenschwere Unternehmer immer wieder von der ’Ndrangheta bei manipulierten Ausschreibungen ausgebootet. Burg soll ihm helfen, die Geldflüsse nachzuvollziehen, damit er die kalabrische Mafia mit deren eigenen Waffen schlagen kann. Als Gegenleistung würde er Burg und seiner Tochter in Nordamerika ein völlig neues Leben ermöglichen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das klingt nach Wirtschaftskrimi, aber diese Ebene ist nur der Motor, der die Geschichte im Hintergrund am Laufen hält. Die Spannung resultiert in erster Linie aus der Frage, ob der Anwalt seinem Gastgeber, der mit Gattin (Julia Stinshoff) und Sohn auf einem großzügigen Anwesen in der Nähe von Turin lebt, trauen kann. Morales ist ein liebevoller Vater und Ehemann, außerdem hat er eine attraktive Schwester Giulia (Katharina Nesytowa), die den Deutschen offensichtlich mag und viel Verständnis für Alinas Sehnsucht hat, die nordische Einöde hinter sich zu lassen. Aber der Italiener spielt nicht mit offenen Karten, und auch bei Giulia hat Burg gewisse Restzweifel. Tatsächlich gerät er schließlich zwischen die Fronten eines Dreikampfs zwischen ’Ndrangheta, Cosa Nostra und der Anti-Mafia-Behörde.
Anders als "Flucht durchs Höllental" gibt es in der Fortsetzung keinerlei Leerlauf; gemeinsam mit der guten Thriller-Musik (Jens Langbein, Robert Schulte Hemming) sorgen diverse Actionszenen sowie unerwartete und zum Teil schockierende Handlungswendungen für viel Kurzweil. Trotzdem haben Rosenmüller und sein Kameramann Namche Okon noch Zeit für schöne Bilder gefunden. Bildgestaltung und Lichtarbeit sind ohnehin hochwertig, aber mehrere Ausflüge Burgs mit Giulia sind zudem willkommener Anlass, um die sonnendurchflutete Gegend rund um den Lago Maggiore zu würdigen; sie sind gemeinsam mit den nicht minder imposanten Stadtbildern ein wirkungsvoller Kontrast zu den allerdings ebenfalls im Piemont gedrehten Anfangsszenen in der kargen "isländischen" Einöde. Die Schauplätze sind ohnehin sehr gut ausgewählt.
Ähnlich ambivalent wie die Landschaftsbilder sind die beiden Hauptfiguren: Burg ist diesmal zwar nicht mehr der Antiheld aus dem ersten Film, dem seine Tochter mehr oder weniger egal war, offenbart aus Sorge um Alina aber unangenehm autoritäre Seiten.
Mommsen, dank seiner vielen Komödienrollen quasi automatisch Sympathieträger, ist eine ausgezeichnete Besetzung als Gegenspieler. Eine seiner stärksten Szenen ist ein nächtlicher Friedhofsmonolog im strömenden Regen, als Morales seinem unfreiwilligen Gast rät, den Tod wie einen alten Freund zu betrachten.
Dritte männliche Hauptfigur ist der oberste italienische Mafiajäger. Martin Umbach versieht den Mann mit der Ausstrahlung eines desillusionierten Veteranen, der seinen Gegnern im Verlauf eines Jahrzehnte währenden Kampfes immer ähnlicher geworden ist.
Sehr präsent ist auch Sofie Eifertinger, bekannt geworden als Polizistinnentochter in der ARD-Vorabendserie "WaPo Bodensee", die ihr Talent schon einige Male bewiesen hat, etwa in dem ZDF-Liebesdrama "Zweimal zweites Leben" sowie in einem RBB-"Polizeiruf" ("Demokratie stirbt in Finsternis"). Ein Extralob gebührt dem Casting der einheimischen Mitwirkenden: Die zum Teil uralten führenden Köpfe der "Familie" sind ausgesprochen eindrucksvoll.