Die Diagnose ist ein Schock: Als die neunjährige Emily bei einer Tanzvorführung mit Schaum vorm Mund zusammenbricht, stellt sich raus, dass sie unter Kinderdemenz leidet; eine äußerst seltene Krankheit, die ebenso wie die Altersdemenz als unheilbar gilt. Bei einer Recherche im Internet findet der Vater heraus, dass ein deutsches Pharma-Unternehmen ein Medikament entwickelt hat, das derzeit in Südkorea getestet wird. Weil die Zulassung für Emily zu spät kommen würde, setzen Michael und Nicole Wagner (Christian Erdmann, Annika Blendl) quasi Himmel und Hölle in Bewegung, damit ihre Tochter Mitglied der Testgruppe wird.
Geschichten, in denen das Leben eines Kindes auf dem Spiel steht, sind in der Regel ohnehin derart berührend, dass die Regie nicht auch noch zusätzliche Emotionen schüren muss. Darauf hat Elmar Fischer daher auch klugerweise verzichtet; seine Inszenierung ist ähnlich sachlich wie die Bilder des Films.
Tatsächlich stellt das Drehbuch von Jörg Tensing die betroffene Familie nicht mal in den Mittelpunkt: Hauptfigur des Dramas ist die von Lisa Maria Potthoff zunächst als kühl berechnende Frau verkörperte Geschäftsführerin der Pharmafirma. Der Job bei dem vergleichsweise kleinen Unternehmen ist für Julia Schimmel bloß eine Durchgangsstation: Sie wird Berner & Braun erfolgreich an die Börse bringen und dann weiterziehen. Weil sie ihren Nachwuchs mit der gleichen Zielstrebigkeit plant, verliert Ehemann Felix (Torben Liebrecht) alsbald buchstäblich die Lust.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Zunächst hat es den Anschein, als würde der Film der privaten Ebene unnötig viel Zeit widmen. Das ist ohnehin ein Manko vieler Produktionen dieser Art: Damit es nicht nur um medizinische Details geht, dichten die Drehbücher den Hauptrollen stets auch Beziehungsprobleme an. Exemplarisch für diese Dramaturgie ist "Was wir wussten – Risiko Pille" (2019), ein eigentlich fesselnder Tatsachenfilm über die Gefahren der Anti-Baby-Pille, der viel zu viel Zeit mit einem unnötigen Beziehungsdrama vertan hat.
Meist wird mit dem Nebenstrang ein doppelter Effekt angestrebt: Die zentrale Figur wird fragil, was sie weniger distanziert und nahbarer werden lässt; außerdem wirkt ihr späterer Sinneswandel auf diese Weise glaubwürdiger. Diese Entwicklung macht auch Julia durch, als Felix sie verlässt und damit die Familienplanung beendet. Entsprechend dünnhäutig fällt ihre Reaktion aus, als Michael Wagner ihr in einer Talkshow unterstellt, sie könne das Leid der Familie nicht nachvollziehen, weil sie keine Kinder habe. Sie revanchiert sich mit einem Tiefschlag: Der PR-Chef (Tedros Teclebrhan) der Firma hat ein dunkles Detail aus Wagners Vergangenheit ausgegraben, das plötzlich den Vater als Schurken erscheinen lässt; prompt verliert er die Sympathien seiner Instagram-Follower.
Es ist durchaus mutig, wie Fischer und Tensing mit ihren zentralen Figuren umspringen. Natürlich gehört den Eltern das Mitgefühl, aber je verzweifelter Michael und Nicole um das Leben ihres Kindes kämpfen, desto un- und selbstgerechter verhalten sie sich auch. Julia wird aufgefordert, Emily das noch unerforschte Medikament aus Mitgefühl ("Compassionate Use" in der Fachsprache) zur Verfügung zu stellen, aber sie hat gute Argumente, die dagegen sprechen: Sollte es bei dem Mädchen nicht wirken, würde sich die Testphase deutlich verlängern, was viele andere Kinder das Leben kosten könnte.
Etwaige Negativschlagzeilen hätten zudem Auswirkungen auf den geplanten Börsengang, der dem Unternehmen zusätzliches Kapital in Höhe von einer Milliarde Euro einbringen soll. Das klingt zynisch, aber der Film weckt durchaus Verständnis für Julias Haltung, schließlich trägt sie als Geschäftsführerin auch die Verantwortung für viele Arbeitsplätze; allein die Investitionskosten in die Entwicklung des Medikaments bewegen sich im dreistelligen Millionenbereich.
Wagner wiederum stellt ein Video ins Netz, in dem Emily ihre Symptome deutlich übertrieben darstellt. Die Folge ist nicht nur ein "Shitstorm" gegen Berner & Bach, sondern auch ein körperlicher Angriff auf Julia; spätestens jetzt ist ohnehin eine rote Linie überschritten.
Eine der bislang besten Arbeiten Fischers war "Unterm Radar" (2015); der fesselnde Thriller mit Heino Ferch und Christiane Paul ist eine bittere Parabel auf die Willkür des Überwachungsstaates. Mit Tensing hat der Regisseur bereits bei "Götter in Weiß" (2017) zusammengearbeitet; in dem Drama mit Claudia Michelsen entdeckt eine Chirurgin, dass in ihrem Krankenhaus lebensbedrohliche Missstände vertuscht werden.
Das Drehbuch zu "Eine riskante Entscheidung" ist gerade dank der Nebenfiguren ähnlich vielschichtig: Innerhalb des Unternehmens wartet ein ehrgeiziger Kollege nur darauf, dass Julia über die Affäre stolpert, und außerhalb nutzt ein Kirchenmann (Thorsten Merten) die Gelegenheit, um seinen Verein für die Opfer der Pharmaindustrie bekannt zu machen.
Schlüsselszene des Films ist allerdings Julias ungewollte Begegnung mit Emily. Das mittlerweile fast erblindete Mädchen ist auch körperlich erheblich beeinträchtigt. Selbst dieser Moment kommt ohne melodramatische Überhöhung aus, aber er löst bei Julia einen Prozess aus, der schließlich in gleich mehrere folgenschwere Entscheidungen mündet.