TV-Tipp: "ZERV – Zeit der Abrechnung"

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23. Februar, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "ZERV – Zeit der Abrechnung"

Wer wie ein Sieger auftritt, darf sich nicht wundern, wenn sich die anderen wie Verlierer fühlen. Die Wunden, die in den frühen 90-er Jahren der Nachwendezeit gerissen wurden, sind bis heute nicht verheilt. Aber darum geht es in "ZERV – Zeit der Abrechnung" nur am Rande. In erster Linie erzählt die sechsteilige Serie eine fesselnde Krimi-Story, die sich von den meisten anderen deutsch-deutschen Filmen vor allem durch den Tonfall unterscheidet: Sie ist lustig, weil Nadja Uhl ihre Rolle mit viel Mutterwitz und noch mehr Energie verkörpert.

Die Ostberliner Kommissarin Karo Schubert ist nicht nur eine vorzügliche Ermittlerin, sondern auch nicht auf den Mund gefallen; damit muss der Kollege Peter Simon aus Bremen erst mal klarkommen. Fabian Hinrichs ist der zweite Grund, warum die knapp 300 Minuten ausgesprochen kurzweilig sind. Die Geschichte spielt 1991, die Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität ist soeben gegründet worden, und natürlich resultiert der Reiz der Serie aus dem bewährten Prinzip, dass zwei zu einer Einheit zusammenwachsen sollen, die das gar nicht wollen.

Der erste gemeinsame Fall des ungleichen Duos führt mitten hinein in einen Abgrund aus Habgier und alten Seilschaften. Auf politischer und menschlicher Ebene mag der Prozess der Wiedervereinigung äußerst mühsam gewesen sein, aber in der Welt der Wirtschaftskriminalität hat er reibungslos funktioniert.

Nach dem scheinbaren Suizid eines Mannes, der mit der Auflösung der Nationalen Volksarmee beauftragt war und die Waffenbestände der NVA einer neuen Bestimmung zuführen sollte, sehen sich Schubert und Simon mit Gegenspielern konfrontiert, die eine Nummer zu groß für sie sind. Quasi vor den Augen der Behörden wird Kriegsgerät gestohlen. Die Gegenseite ist der Polizei stets einen Schritt voraus, weil sie offenbar laufend über den Stand der Ermittlungen informiert wird; die Drahtzieher sind die gleichen, die auch schon vor dem Fall der Mauer ihr Unwesen getrieben haben.

Da sich die ZERV nicht nur um Wirtschaftsdelikte, sondern auch um Regierungskriminalität kümmert, gibt es zwei Nebenstränge, die zwar interessant und bewegend sind, aber wie Exkurse wirken, weil sie abgesehen von den handelnden Personen nichts mit dem Hauptstrang zu tun haben: Simon kümmert sich um einen einstigen "Republikflüchtling", dessen kleine Tochter zwangsadoptiert wurde, Schubert sorgt dafür, dass der frühere Leiter (Jörg Witte) eines Jugendwerkhofs für die Vergehen an seinen Schutzbefohlenen zur Rechenschaft gezogen wird.

In letzterem Fall gibt es immerhin einen konkreten Bezug zu ihrer Familie: Die Freundin der Tochter ist eins der Opfer des Mannes; die beiden jungen Frauen (Vanessa Loibl, Caroline Cousin) spielen das sehr glaubwürdig. Emotional ungleich spannender ist jedoch Karos direkte Betroffenheit bei der zentralen Erzählung. Ihr Vater ist angeblich vor fünf Jahren bei einem Unfall ertrunken. Seine Leiche ist jedoch nie gefunden worden; sie ist überzeugt, dass er noch lebt. Axel Schubert war Spediteur und regelmäßig im Westen. Bei der Suche nach den Hintermännern des Waffenhandels stellt sich raus, dass er im Auftrag des DDR-Außenhandelsministeriums nicht nur Antiquitäten transportiert hat.

"ZERV" ist als Spielfilm in sechs Teilen konzipiert, wobei die einzelnen Folgen mal mit einem Knüller, mal mit einem Knaller enden; und einige Male mit einem gemeinen Cliffhanger. Dabei sind auch Opfer zu beklagen, weshalb der heitere Tonfall des Auftakts irgendwann auf der Strecke bleibt. Beim Überfall auf das Waffenlager wird Simons beste Mitarbeiterin schwer verletzt.

Henriette Hölzel ist die Entdeckung der Serie, aber auch viele weitere wenig namhafte Mitwirkende sind sehenswert. Für die Prominenz gilt das nicht minder. Thorsten Merten verkörpert seine Rolle als Mittäter derart vielschichtig, dass der Mann fast zum Sympathieträger wird, obwohl er keiner von den Guten ist. Ähnlich viele Pointen haben nur Uhl und Fritzi Haberlandt: Kriminaltechnikerin Uta ist Karos beste Freundin und immer für einen Spruch gut.

Im Vergleich zu den beiden Frauen mutet Hinrichs’ Rolle fast eindimensional an, zumal Simon trotz diverser witziger Missgeschicke ein wichtigtuerischer Besserwessi wie aus dem Bilderbuch ist. Die Ostdeutschen sind für ihn Teil des Problems und nicht der Lösung; eine Haltung, die heute wieder Konjunktur hat. Tiefe bekommt Simon durch die Einsamkeit, die ihn umflort; sein vernarbter Rücken deutet ein tragisches Schicksal an, dass erst zum Schluss offenbart wird.

Immerhin kommt es mit Hilfe eines Karaoke-Duetts zur Annäherung mit der Kollegin. Dass die beiden den Karat-Klassiker "Über sieben Brücken musst Du gehen" singen, für Simon natürlich ein Hit von Peter Maffay, mag als klangliche Metapher nicht sonderlich originell sein, passt aber perfekt. Auf ganz andere Art ähnlich eindrucksvoll ist das Bild eines Staatssekretärs, der tot in der Wanne liegt; es wird kein Zufall sein, dass die Einstellung lebhaft an das berühmte "stern"-Titelbild von Uwe Barschel erinnert.

"ZERV" geht auf eine Idee von Michael Klette zurück, der ebenso wie Produzentin Gabriela Sperl zum vielköpfigen Drehbuch-Team gehört. Regie führte Dustin Loose, dessen herausragendste Arbeit bislang die Vox-Serie "Rampensau" (2019) war. Seiner Inszenierung mag es an einer gewissen Raffinesse fehlen, aber die Arbeit mit dem Ensemble ist ganz vorzüglich.

Respekt gebührt auch Szenen-, Masken- und Kostümbild. Natürlich muss eine derartige Produktion einen gewissen Standard erfüllen, aber letztlich konnte Loose nur dank dieser Gewerke das Lebensgefühl der frühen Neunziger treffen: als einer Zeit des Übergangs, in der sich das Neue mit Macht Platz verschafft, das Alte aber noch überall präsent ist. Die Serie steht komplett in der Mediathek. Das "Erste" zeigt die Folgen fünf und sechs morgen.