Der Titel klingt nach Pharmathriller, schließlich geht es in den "Zürich-Krimis" regelmäßig um Betrügereien in großem Stil. "Borchert und die bittere Medizin", der vierzehnte Film mit Christian Kohlund als Wirtschaftsanwalt, erzählt jedoch eine vergleichsweise kleine Geschichte.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Sie beginnt mit einem Überfall: Altstadtapotheker Siebert (Filip Peeters) verabschiedet sich in den Feierabend. Kaum ist er weg, klopft noch ein Kunde an die Tür. Der Mann braucht dringend seine Herztabletten und macht einen elenden Eindruck. Die junge Angestellte lässt sich erweichen, und das wird ihr zum Verhängnis: zunächst umgehend, weil ein bewaffneter Räuber in die Apotheke eindringt, den Kunden niederschießt und aus dem Tresor Spezialmedikamente im Wert von mehreren hunderttausend Franken stiehlt; und dann wenige Tage später vor dem Arbeitsgericht, als Borchert und seine Partnerin Dominique Kuster (Ina Paule Klink) ihre fristlose Entlassung anfechten wollen.
Schon das wird schwierig, denn Pharmaziestudentin Sina (Thekla Hartmann) hat zwei schwere Fehler begangen: Als Praktikantin hätte sie den Kunden gar nicht bedienen dürfen, und sie hätte hinter ihm abschließen müssen; aber es kommt noch schlimmer.
Das klingt gerade gemessen an den früheren Episoden der Reihe, in denen einflussreiche Geschäftsleute und Politiker in Verschwörungen verwickelt waren oder sich eine Geiselnahme zum Hochspannungs-Thriller entwickelte, nach einem überschaubaren Fall.
Der Reiz des Drehbuchs von Wolf Jacoby – "Borchert und die bittere Medizin" ist sein achter "Zürich-Krimi" – liegt in der persönlichen Betroffenheit der Beteiligten: Bei dem späten Kunden handelt es sich um Dominiques Vater und Borcherts besten Freund, Reto Zanger (Robert Hunger-Bühler). Der Anwaltskollege ist seit vielen Jahren mit dem Apotheker Siebert befreundet, weshalb er ihn selbstverständlich vor Gericht vertritt. Der moralische Spagat, schließlich hat Sina aus reiner Mitmenschlichkeit gehandelt, scheint ihm nicht schwerzufallen, was seine Tochter zu der Bemerkung veranlasst, er sei immer entweder Anwalt oder Mensch, aber nie beides gleichzeitig. Den Apotheker hält sie ohnehin für "ein echtes Charakterschwein".
Als sie den Vater in den Zeugenstand ruft und er die Ereignisse rekapituliert, kommt ihm wieder in den Sinn, dass Sina den Ganoven demaskiert und erkannt hat, und jetzt hat die Studentin ein Problem, das ihre Entlassung zur Nebensache macht: Sie gilt nun als Mittäterin; und wenig später sogar als Drahtzieherin des Coups, die den Ganoven als möglichen Zeugen beseitig hat.
Vor allem dank der neun Episoden von Roland Suso Richter stehen die "Zürich-Krimis" für höchstes handwerkliches Niveau; gerade die Bildgestaltung ist regelmäßig formidabel. Das gilt auch diesmal. Der erfahrene Hansjörg Thurn hat zuletzt fürs ZDF mehrere "Wilsberg"-Episoden und für Sat.1 drei Thriller mit Tim Bergmann als Rechtsmediziner ("Ein Fall für Dr. Abel") gedreht, ist aber vor einiger Zeit auch regelmäßig für Prestigeprojekte wie "Die Schatzinsel" (2007, ProSieben), "Die Wanderhure" (2010, Sat.1) oder "Beate Uhse" (2011, ZDF) verpflichtet worden.
Sein erster "Zürich-Krimi" zeichnet sich zwar ebenfalls durch Hochglanzbilder aus, doch die Spannung hält sich in deutlich engeren Grenzen als zuletzt. Die Handlung entwickelt sich mehr und mehr in Richtung eines Dramas, in dem es ständig zu Interessenskonflikten kommt; Dominique und ihr Freund, Hauptmann Furrer (Pierre Kiwitt), stehen ohnehin ständig auf unterschiedlichen Seiten: weil sie regelmäßig seine Verdächtigen vertritt. Die interessanteste Figur der Geschichte ist die eigentliche Leidtragende: Sina hat geglaubt, sie hätte die schwierigen Verhältnisse, aus denen sie stammt, endgültig hinter sich gelassen, doch nun wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt.
Der Schluss konzentriert sich allerdings auf eine ganz andere Familie, aber weil der Film diese Ebene bis dahin nur ein paar mal gestreift hat, müssen nun im Rahmen eines ausführlichen Tischgesprächs mit entsprechenden Rückblenden viele Informationen nachgereicht werden. Das führt zwar zu einigen Antworten, wirkt jedoch wie ein notdürftiges und dramaturgisch zudem recht unbefriedigendes Konstrukt und ist als Finale gerade gemessen am fesselnd inszenierten Auftakt etwas enttäuschend. Die juristischen Details des Falls sind ebenso interessant wie die Haken, die die Handlung einige Male schlägt, doch dem hohen Niveau der Reihe entspricht abgesehen vom stets überzeugenden Kern-Ensemble in erster Linie die ausgezeichnete Kameraarbeit von Sonja Rom.