Hinter der Heiterkeit vieler vermeintlicher Komödien verbirgt sich oft ein trauriger Kern, aber selten sind die witzigen und die wehmütigen Elemente so kunstvoll miteinander kombiniert worden wie in dieser Serie. Die Handlung beginnt mit der scheinbaren Videoplauderei eines Paars vor dem Einschlafen. Der Chat mündet in eine witzige Szene, als die Polizei den ausgebüxten kleinen Sohn der beiden nach Hause bringt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Mit diesem Einstieg setzen die Autorinnen Suki Maria Roessel, Sabine Leipert und Claudia Leins ein Vorzeichen, das allen acht Folgen erhalten bleibt, auch wenn die Geschichte kein bisschen komisch ist: Einige Monate zuvor ist die Mutter des Jungen gestorben. Trotzdem ist Elli (Jessica Ginkel) permanent präsent: weil sie ihrer Familie Dutzende von Videobotschaften für alle möglichen Lebenslagen hinterlassen hat.
Im Grunde sind die Nachrichten aus dem Jenseits jedoch nur der Auslöser einer Handlung, die zunehmend komplexer wird. Der immer wieder von seiner Trauer überwältigte und als alleinerziehender Vater regelmäßig überforderte Tobias (Golo Euler) bleibt zwar die zentrale Figur, aber nach und nach rücken auch die weiteren Beteiligten ins Zentrum. Auf diese Weise erscheint die vom Gatten verklärte Elli plötzlich in anderem Licht, denn es stellt sich raus, dass sie nicht der strahlende Engel war, für den ihr Mann sie gehalten hat.
Dass sich der 16jährige Sohn Lennart (Luke Matt Röntgen) seit Monaten in seinem Zimmer einschließt, hat keineswegs mit dem Tod seiner Mutter zu tun, sondern mit einer zufälligen Beobachtung, bei der ein angehender Schriftsteller (Tim Oliver Schultz) eine entscheidende Rolle gespielt hat.
Auch filmisch sind Gegenwart und Vergangenheit geschickt miteinander verknüpft (Regie: Felix Binder, Suki Maria Roessel). Meist ist das jeweilige Video der Auftakt zu einer Rückblende, manchmal aber auch ein Gegenstand wie etwa eine Jacke, in der sich noch Sand vom Strandausflug befindet. So wechselt die Serie permanent die Zeitebenen. Auf erklärende Einblendungen konnte dabei verzichtet werden; Ellis gesundheitlicher Zustand ist Hinweis genug.
Für Jessica Ginkel, sechs Staffeln lang neben Hendrik Duryn ein maßgeblicher Grund, keine Folge der RTL-Serie "Der Lehrer" zu verpassen, muss das ein Traumangebot gewesen sein, weil sie von verführerisch und sexy bis hin zu todkrank ein enormes Spektrum bespielen darf. Der Facettenreichtum der Geschichte ergibt sich auch durch die Kombinationen mit den anderen Figuren: Elli war Mutter und Tochter, Ehefrau und Geliebte. Und nicht zuletzt beste Freundin: Die zweite zentrale Frauenrolle spielt Marlene Morreis als Partnerin in der gemeinsamen Buchhandlung, durch sie hat Elli ihren Mann kennen gelernt, und zwischen den Zeilen ihrer Videos lässt sich erahnen, dass sie die beiden gern miteinander verkuppeln würde.
Ein gleichfalls beträchtlicher Teil des enormen Charmes dieser Serie resultiert aus dem gelungenen Spiel mit Vorhersehbarkeiten und Überraschungen. Natürlich kommt es irgendwann zur Konfrontation zwischen dem Witwer und seinem Nebenbuhler. Andere Entwicklungen sind dagegen ebenso originell wie verblüffend. So wird zum Beispiel ein Videoportal zu Tobis Kummerkasten, weil sich Sexanbieterin Nadja (Karolina Lodyga) als kluge Ratgeberin entpuppt.
Außerdem ist der Witwer viel zu sehr mit seinem Kummer beschäftigt, um mitzukriegen, dass sich Lennart, der endlich sein Zimmer verlassen hat, in seine Lehrerin (Julia Goldberg) und die 13jährige Lisa (Mathilda Smidt) in ein Mädchen verliebt haben.
Viele Serien der Privatsender basierten in den letzten Jahren auf ausländischen Vorbildern; umso respektabler, dass "Nachricht von Mama" eine originäre Eigenproduktion ist. Einzig die Videobotschaften sind durch wahre Ereignisse inspiriert worden. Mindestens so sehenswert wie die Handlung ist das in jeder Rolle perfekt besetzte Ensemble; Julia Goldberg und Mathilda Smidt sind die Entdeckungen der Serie. Der kleine Matteo Hilterscheid ist ebenfalls bestens durch seine schwierige Rolle geführt worden.
Zu den vielen liebevollen Drehbucheinfällen gehört neben dem Grabbriefkasten, in dem die Hinterbliebenen ihre Briefe an Elli deponieren können, auch der Grund für Leons ständige Ausflüge: Er ist überzeugt, dass die Mutter "nachwächst", wenn er das Grab zuverlässig gießt. Sat.1 zeigt die Serie, deren Schluss die Vorlage für eine Fortsetzung liefert, montags in Doppelfolgen. Die ersten beiden werden am heutigen Weltkrebstag im Rahmen des Programmschwerpunkts "MutMachWoche – Leben mit Krebs" ausgestrahlt.