Eine Schauspielerin spielt in einem Krimi eine Schauspielerin, die ihre Popularität einer Serienrolle als Polizistin verdankt: Das klingt nach einer Geschichte mit viel Augenzwinkern; erst recht, wenn der Kollege, der den Gatten der Frau verkörpert, auch im wirklichen Leben zehn Jahre mit ihr liiert war. Er spielt ebenfalls einen Schauspieler, der seine Bekanntheit wiederum einer Serie über einen Tierarzt verdankt: als "Mann, dem die Sauen vertrauen". Tatsächlich macht diese Meta-Ebene großen Spaß, aber von Augenzwinkern kann in dem "Tatort" aus Köln keine Rede sein.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Vier Jahre" beginnt mit einer geschickt verschachtelten Szenenfolge, deren Zusammenfassung angesichts des kunstvollen Verknüpfung der Zeitebenen fast banal klingt: Bei der Silvesterfeier in seiner Villa hat Moritz Seitz (Thomas Heinze) einen Gast mit seiner minderjährigen Tochter erwischt. Als der Mann in den Pool gehüpft ist, hat der Gastgeber offenbar erst einen Starkstromscheinwerfer hinterher geworfen und ihm anschließend den Schädel eingeschlagen.
Das ist vier Jahre her, solange sitzt der beliebte Schauspieler nun schon im Gefängnis, aber plötzlich wenden sich die Dinge: Sein Freund und Kollege Ole Stark (Martin Feifel) gesteht, er habe die Tat begangen. Neuer Prozess, neues Urteil, Seitz ist ein freier Mann, Stark verschwindet hinter Gittern – und jetzt geht die Geschichte erst richtig los, denn die Kommissare Ballauf und Schenk (Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär) halten das Geständnis für falsch.
Natürlich resultiert der Reiz des Films auch aus der Frage, was sich in jener Silvesternacht wirklich ereignet hat, aber der erste Akt des Films ist vor allem ein darstellerisches Vergnügen: weil das Ensemble sichtbare Freude an seiner Arbeit hat. Gerade Max Hopp zieht als späteres Opfer alle Register eines mit Bühnenzitaten um sich werfenden blasierten Mimen, der sich der Kunst verschrieben hat und voller Dünkel auf die TV-Kollegen herabsieht. Sein bevorzugtes Opfer ist Ole Stark. Das Trio war einst zusammen auf der Schauspielschule, aber aus Freunden wurden Konkurrenten, und während der eine kommerziell und der andere künstlerisch erfolgreich war, blieb dem dritten nur der Suff.
Die eigentliche Handlung beginnt mit Seitz’ Rückkehr in die Freiheit, doch die Welt hat sich weitergedreht: Natürlich möchte der TV-Star dort weitermachen, wo er aufgehört hat, aber frühere Weggefährten lassen sich am Telefon verleugnen, und nicht mal die Nachbarn grüßen ihn noch. Zu allem Überfluss hat sich in seinem Nest ein Nebenbuhler breit gemacht: Schockiert stellt der Schauspieler fest, dass Gattin Carolin (Nina Kronjäger) mit dem Streifenpolizisten Heise (Florian Anderer) zusammenlebt, der in der verhängnisvollen Nacht als erster am Tatort war. Auch für Carolins Karriere waren die Schlagzeilen Gift: Sie verdient ihren Lebensunterhalt mittlerweile als Kellnerin; und Ballauf macht eine verblüffende Entdeckung, als er sich die Polizeiserie anschaut.
Die Geschichte ist klasse, zumal sich die Wahrheit über die Ereignisse in der Silvesternacht als kleiner Knüller entpuppt; und damit ist der Film immer noch nicht zu Ende. Wolfgang Stauchs Drehbuch erfreut zudem durch exquisite Dialoge und viele Nebenschauplätze, die auch den weiteren Mitwirkenden Gelegenheiten für ihre Auftritte geben; zu nennen wären noch Sarah Buchholzer als Tochter Lene sowie Franziska Arndt als Frau von Ole Stark. Der Autor hat gerade für die Sonntagskrimis im "Ersten" bereits diverse ausgezeichnete Vorlagen mit ungewöhnlichen Figuren geliefert. In seinem letzten "Tatort" ("Blind Date" aus Mainz, 2021) wurde eine blinde junge Frau Ohrenzeugin eines Mordes.
Mit Regisseur Torsten C. Fischer hat er schon einige Male zusammengearbeitet, unter anderem bei den sehenswerten SWR-Krimis "Emma nach Mitternacht" (2016) mit Katja Riemann. Ihr letzter gemeinsamer Film war "Der Tod der Anderen" (2021), ebenfalls ein cleverer, vielschichtiger "Tatort" aus Köln, in dem die Kommissare mit einem alten DDR-Skandal konfrontiert wurden.
"Vier Jahre" hat allerdings zwei kleine Makel: Die Handlung kommt ins Rollen, weil sich ein misanthropischer Nachbar (Manfred Böll) durch die Party gestört fühlt; dass sich die Polizei ausgerechnet in der Silvesternacht umgehend auf den Weg macht, ist wenig glaubwürdig. Carolin Seitz, heißt es, sei drei Jahre älter als ihr neuer Lebensgefährte, aber Nina Kronjäger ist Jahrgang 1967, der Kollege Anderer Jahrgang 1980.
Davon abgesehen war es clever, für die Figur des Polizeiobermeisters einen wenig bekannten Darsteller zu wählen, das unterstreicht Heises Rolle als Außenseiter in diesem Umfeld; schauspielerisch macht Anderer seine Sache vorzüglich. Sehr sympathisch ist auch eine kleine WDR-Hommage in eigener Sache, als sich Heise den "Tatort"-Klassiker "Kressin stoppt den Nordexpress" (1971) anschaut. Diese Liebe zum Detail zeigt sich nicht zuletzt in der Ausstattung, als sich Seitz sein Heim Stück für Stück zurückerobert, indem er die persönlichen Gegenstände des Nebenbuhlers aussortiert.