Ann Cathrin Röttger wusste immer, dass Lesbischsein und katholische Kirche nicht zusammengehen. Trotzdem wurde sie Gemeindereferentin. Heute leitet die 43-Jährige die Abteilung Freiwilligendienste im Bistum Osnabrück. Ihr Privatleben hat Röttger aus Angst vor einem Jobverlust jahrzehntelang abgespalten, geheim gehalten, sich in die Arbeit gestürzt. Selbstzweifel und Krankheit waren die Folge. "Ich dachte oft: Wie doof bist du denn? Das ist doch selbst gewähltes Leid." Jetzt hat sie als Teil der Initiative #outinchurch ihr Schweigen gebrochen.
Mehr als Hundert queere Mitarbeitende der katholischen Kirche in ganz Deutschland haben sich zu Beginn der Woche unter dem Motto #outinchurch geoutet. Die meisten wie Röttger mit vollem Namen, Wohnort, Stimme und Gesicht. Die Fernsehdokumentation "Wie Gott uns schuf" begleitete die Kampagne. "Wir wollen die Bischöfe zwingen, dass sie nicht mehr darüber hinweggehen können", sagt Röttger und rückt energisch mit ihrem Schreibtischstuhl vor. Ihr kleines Dachgeschoss-Büro befindet sich im Gebäudekomplex direkt neben dem Osnabrücker Dom.
Aufgewachsen ist sie ist in einem Dorf im Umland, in einem katholischen Elternhaus. Sie war Messdienerin, leitete später Kindergruppen und Freizeiten. Irgendwann habe sie "gecheckt, dass man das auch als Beruf machen kann". Also studierte sie Religionspädagogik mit Berufsziel Gemeindereferentin.
Schon vor Studienbeginn wurde sie auf die "Loyalitätsobliegenheiten" hingewiesen. Die besagten unter anderem, dass sie nicht homosexuell leben dürfe. Dass sie lesbisch war, sei ihr damals schon klar gewesen. "Aber ich dachte, ich studiere erst mal", sagt Röttger und lächelt kurz.
"Kirche ist ein wichtiger Teil meines Lebens"
Nach ihrem Anerkennungsjahr in einer Gemeinde landete sie ziemlich schnell in der Arbeitsstelle Freiwilligendienste. "Die Arbeit mit den vielen jungen Leuten hat mich sofort total geflasht." Sie blieb dort, engagierte sich über die Maßen und zog viel Anerkennung und Wertschätzung aus ihrem Job. "Kirche war und ist trotz allem, was wirklich richtig schlecht läuft, ein wichtiger Teil meines Lebens."
Doch ihr Privatleben verkümmerte. Sie verdrängte ihr Sexualleben, gönnte sich kaum Auszeiten. Der Zusammenbruch kam vor etwa zehn Jahren. Diagnose: Burn-Out. Ein dreiviertel Jahr war sie krank. "Die Zeit war wichtig, um herauszufinden, was mir wirklich wichtig ist im Leben", sagt Röttger mit fester Stimme. Sie habe sich mit sich selbst ausgesöhnt. "Ich habe erkannt, dass es nicht meine Schuld ist." Und ihr sei klar geworden: "Ich möchte in einer Beziehung leben." Seit sieben Jahren ist sie nun mit ihrer Partnerin zusammen.
Allein - es blieben die Angst vor einem Jobverlust und die Heimlichtuerei. Die habe in der Vergangenheit zu teils skurrilen Situationen geführt, erzählt Röttger. "Wenn ich in einem Supermarkt eine Kollegin entdeckte, habe ich zu meiner Freundin gesagt: Wir gehen da jetzt nicht rein."
Hoffnungen liegen auf Synodalem Weg
Umso mehr überwältigten und rührten sie die ausschließlich positiven Reaktionen auf ihr öffentliches Outing. Viele Kolleginnen und Kollegen, Bekannte, Freunde, selbst entfernte Weggefährten und auch Vorgesetzte hätten ihre Hochachtung und Unterstützung zum Ausdruck gebracht. Bischof Franz-Josef Bode mahnte klare Regeln für eine Anerkennung homosexueller Lebensformen an: "Und er hat mir persönlich versichert, dass ich keine Angst um meinen Job haben muss."
Wie so viele hofft Röttger auf den Reformprozess "Synodaler Weg". Während der dritten Synodalversammlung in der kommenden Woche in Frankfurt am Main werden erstmals konkrete Änderungsvorschläge auch für das kirchliche Arbeitsrecht und die katholische Sexuallehre vorgelegt. Für Ann Cathrin Röttger ist klar: "Wenn sich nichts ändert, ist der Laden bald wirklich nicht mehr zu halten."