Im Unterschied zu Baiers Adaption ist Claus Räfles Arbeit ein dokumentarischer Spielfilm, der sich am Schema des TV-Dokudramas orientiert. Den größten Anteil bilden zwar die Spielszenen, doch sie werden durch Interviews mit den Menschen ergänzt, die damals als Jugendliche ohne ihre Eltern untergetaucht sind; zeitgenössisches Schwarzweißmaterial dient als Kapiteltrenner zwischen den einzelnen Episoden. Auf diese Weise kann Räfle vier Geschichten erzählen, die im Rahmen eines reinen Spielfilms nur schwer miteinander kombinierbar gewesen wären, zumal sich die Protagonisten nie begegnet sind. Auch wenn dem Film anzusehen ist, dass der Produktion nicht viel Geld zur Verfügung stand, weil die ohnehin überwiegend aus Innenaufnahmen bestehenden Spielszenen sparsam umgesetzt sind: Spannend ist er trotzdem, weil die jungen Juden jahrelang in permanenter Angst lebten und ihren Häschern mehrfach nur um Haaresbreite entkommen sind.
Aber Räfle will offenkundig ohnehin nicht durch eine fulminante Inszenierung beeindrucken, es geht ihm einzig und allein um die Menschen und um das Unrecht, das ihnen widerfahren ist; und natürlich auch um jene, die viel riskiert haben, um ihre Schützlinge vor dem sicheren Tod zu bewahren. Deshalb ist die Mitwirkung der Überlebenden von enormer Bedeutung für die Qualität des Films: Ihre Berichte verleihen der Handlung selbstredend eine ganz andere Wirkung als ein schlichtes Insert wie "Nach einer wahren Geschichte". Hinzu kommt, dass die zwei Frauen und zwei Männer fesselnde Erzähler sind, was das einzige Manko des Films allerdings umso unüberhörbarer macht. Geschickt verknüpft Räfle Schilderungen und Handlung, indem er seine Schauspieler die Sätze beenden lässt, die die mittlerweile alle über neunzig Jahre alten Herrschaften begonnen haben. Die vier Darsteller fungieren jedoch ebenfalls als Erzähler, und das klingt zum Teil wie mittelmäßig vorgelesen.
Davon abgesehen aber ist die Mischung ausgezeichnet gelungen, zumal Alice Dwyer, Ruby O. Fee, Max Mauff und Aaron Altaras ansonsten durchweg überzeugen. Über allem stehen ohnehin die vier Schicksale, die Stoff genug für einen jeweils eigenen Spielfilm abgegeben hätten. Am verblüffendsten ist die Geschichte von Cioma Schönhaus (Mauff), der mit Hilfe eines frechen Tricks jeden Abend eine neue Unterkunft fand und schließlich als Passfälscher derart gut verdiente, dass er sich sogar ein eigenes Segelboot leisten konnte. Nicht minder faszinierend sind die Erzählungen der blauäugigen Hanni Lévy (Dwyer), die sich die Haare blond färbte und sich unters arische Volk mischte, als Berlin längst als "judenfrei" galt.
Gerade in Szenen wie diesen erweisen sich die Ergänzungen der Zeitzeugen als ungemein wertvoll: weil die alte Hanni versichert, es sei eine echte Herausforderung gewesen, nach all’ den geduckt verbrachten Jahren Selbstbewusstsein zu demonstrieren. Sie wurde schließlich von der Kartenverkäuferin des Kinos, in dem sie viele Nachmittage verbrachte, aufgenommen. Dass von den insgesamt 7.000 Berliner Juden, die damals untergetaucht sind, nur 1.700 überlebt haben, lag auch an den "Greifer" genannten jüdischen Spitzeln. In einer buchstäblich filmreifen Szene läuft Cioma der schönen Stella (Laila Maria Witt) über den Weg, in die er schon als Schüler verliebt war, und hat großes Glück, dass sie offenbar auch etwas für ihn empfindet und ihn nicht verrät.
Welchen Stellenwert das Projekt hat, zeigt nicht zuletzt das Engagement bekannter Schauspieler, darunter auch Florian Lukas als jüdischer Widerstandskämpfer, der die Deutschen auf Flugblättern darüber informiert, dass der vermeintlich siegreich geführte Krieg längst verloren ist. Seinen nicht-jüdischen Helfer verkörpert der 2017 verstorbene Andreas Schmidt; es war seine letzte Rolle. Der Familienvater, den er spielt, hat nicht wie Oskar Schindler über tausend Juden gerettet, aber sein Leben hat er trotzdem aufs Spiel gesetzt; deshalb ist "Die Unsichtbaren" auch ein filmisches Denkmal für diese stillen Helden.