Dabei scheint der Fall zumindest aus Zuschauersicht zunächst klar: Zwei Männer streiten sich lautstark; kurz drauf wird einer von ihnen tot in einem Parksee gefunden. Die beiden haben gemeinsam eine Catering-Firma betrieben, der eine als Koch (das Opfer), der andere als Manager (der Täter?): Ihr Unternehmen beliefert Großkunden und verwendet ausschließlich Bio-Zutaten.
Dieses Essen hat seinen Preis, den viele nicht zahlen können oder wollen, weshalb der Betrieb in den roten Zahlen steckte; da können sich Geschäftspartner schon mal in die Haare kriegen. Das Drehbuch (Christian Schiller, Marianne Wendt) sorgt jedoch für eine weitere brisante Konstellation: Die beiden Männer waren Teil des Titelquartetts. Genau genommen sind sogar sechs Personen beteiligt: Zu der Wohngemeinschaft der beiden Paare, die in untereinander offenen Beziehungen leben, gehören auch zwei nahezu erwachsene Kinder.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Reiz des Films (eine Wiederholung aus dem Jahr 2020) liegt vor allem in der Auseinandersetzung mit diesem Lebensentwurf, der nicht ins schlichte Weltbild von Jürgen Simmel (Hinnerk Schönemann) passt. Die lebenskluge Kollegin Marie Brand (Mariele Millowitsch) klärt ihn zwar auf, dass Polyamorie ein alter Hut und früher freie Liebe genannt worden sei, aber der Hauptkommissar ist schon davon überfordert, sich in eine derartige Lebensform überhaupt hineinzuversetzen; er kann sich nicht vorstellen, dass so etwas reibungslos funktioniert. Damit liegt er völlig richtig, zumindest in Bezug auf diese Geschichte: Jede ménage à trois oder à quatre muss scheitern, wenn einer der Partner einen der anderen für sich allein haben will.
Dank dieser beiden Handlungsansätze – hier das Geschäft, dort die Beziehung – gelingt es dem Drehbuch recht clever, die beiden klassischen Motive Geld und Liebe miteinander zu vermischen. Davon abgesehen ist "Marie Brand und die Liebe zu viert" jedoch ein konventioneller Krimi, der in keiner Weise aus dem Rahmen der Reihe fällt. Ein typisches Stilmittel der Drehbücher ist die Spiegelung des Falls im Privatleben des zu einer gewissen Selbstüberschätzung neigenden Simmel, der diesmal regelmäßig ein Tanzstudio besucht und einigermaßen schockiert zur Kenntnis nehmen muss, dass sich das Interesse seiner Salsa-Partnerin (Claudia Kottal) keineswegs auf ihn beschränkt; ihre freundliche Einladung, den erotischen Horizont zu dritt zu erweitern, lehnt er dankend ab. Bei der Arbeit gibt es ebenfalls Anlass zu Missmut: Simmels Beziehung zur Kollegin ist zwar eher freundschaftlicher Natur und trägt mitunter Züge eines Mutter/Sohn-Verhältnisses, aber dass sie sich so gut mit dem adretten neuen Rechtsmediziner (Manuel Rubey) versteht, behagt ihm gar nicht.
Eifersucht könnte auch der Schlüssel zu dem Mord zu sein, denn es hat den Anschein, als sei der Mann auf eine raffinierte Weise umgebracht worden, die medizinische Kenntnisse erfordert. Damit wären zwei Frauen verdächtig: Ärztin Laura (Idil Üner) war sowohl mit dem Opfer, Silvio (Johannes Suhm), wie auch mit dessen Geschäftspartner (Marcus Mittermeier) liiert. Andi ist der Typ Mann, der selbst dann noch verkündet, alles im Griff zu haben, wenn er in den Ruinen seines Kartenhauses steht: Das Unternehmen ist verschuldet, es droht die Übernahme durch einen Fleischlieferanten (Jan Messutat). Silvio wollte das sinkende Schiff verlassen und hat sich zudem in Krankenschwester Malve (Sophie Lutz) verliebt, die mit ihrer 15jährigen Tochter Fritzi (Emilie Neumeister) in die WG gezogen ist. Sechster Mitbewohner ist der 18jährige Greg (Lukas Hupfeld), Lauras Sohn aus einer früheren Ehe. Nach außen strahlt die Gruppe Harmonie aus, aber es dauert nicht lange, bis Brand und Simmel erste Risse entdecken.
Schiller und Wendt haben bereits die Vorlagen für "Marie Brand und der schöne Schein" (2015) sowie "Marie Brand und die rastlosen Seelen" (2016) verfasst, der eine mehr, der andere weniger sehenswert. Zuletzt hat das Autorenduo für die ARD-Tochter Degeto die beiden sehenswerten Irland-Krimis geschrieben. Auch für Judith Kennel, Dauerregisseurin bei "Unter anderen Umständen" (ZDF), den Krimis mit Natalia Wörner, ist "Marie Brand und die Liebe zu viert" nicht die erste Arbeit für die Reihe. Ihr letzter Beitrag trug einen Titel, der auch zur 26. Episode gut passen würde: "Marie Brand und das Verhängnis der Liebe" (2018), ein Krimi für den Kopf, der nicht zuletzt durch die Erotik des Intellekts faszinierte. Ihr "Marie Brand"-Debüt "…und die Spur der Angst" (2016) war dagegen im Rahmen der Reihe nur guter Durchschnitt.
Das gilt auch für diese Episode. Spannung kommt erst zum Finale auf, und auch die witzigen kleinen Momente von Schönemann sind sehr dosiert. Dass Simmel der Kollegin sein Jackett in die Hand drückt, bevor er eine Verfolgung aufnimmt, hat sich längst zum Running Gag verselbstständigt. Dass er umständlich über ein Tor klettert, das sie anschließend lässig aufdrückt, ist zwar amüsant, aber von Kennel so ähnlich schon in "Marie Brand und das Verhängnis der Liebe" inszeniert worden. Schauspielerisch ist der Film allerdings sehenswert, zumal das Duo Millowitsch/Schönemann immer Spaß macht.