Auf der Einladung steht "Besprechung mit anschließendem Frühstück". Der Ort der Zusammenkunft - eine Villa am Wannsee - hätte nicht idyllischer gewählt werden können. Einziger Tagesordnungspunkt: Die "Endlösung der Judenfrage", also die Organisation des Massenmordes an den europäischen Juden im Nationalsozialismus. Am 20. Januar jährt sich zum 80. Mal die sogenannte Wannsee-Konferenz.
Für den Berliner Historiker und Holocaust-Experten Peter Klein ist die Zusammenkunft im Januar 1942 bis heute eine "Warnung". Sie zeigt aus seiner Sicht: Auch moderne Gesellschaften seien nicht davor gefeit, dass einzelne Institutionen des Staates "einen Arbeitsbeitrag leisten, der dann in Menschenvernichtung münden kann". Dies sei das Alleinstellungsmerkmal der damaligen Konferenz, sagt Klein, der am Berliner Touro College unterrichtet, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Auf Einladung des Chefs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes der SS, Reinhard Heydrich, treffen sich in dem Gästehaus am Wannsee insgesamt 15 Vertreter der Reichs- und Besatzungsbehörden sowie von SS und Polizei. Unter ihnen etwa als Vertreter des Reichsjustizministeriums Roland Freisler, der spätere Präsident des Volksgerichtshofes. Auch dabei: Adolf Eichmann, Leiter des sogenannten "Judenreferates" im Reichssicherheitshauptamt. Bekannt wird die Zusammenkunft durch ein von Eichmann verfasstes Ergebnisprotokoll. Die Sitzung steht heute für die arbeitsteilige Beteiligung von Behörden, Beamten und Parteiorganisationen am Massenmord.
Zu dem Zeitpunkt ist das Schicksal der Juden in Europa bereits besiegelt: Mehr als eine halbe Million Menschen ist schon bei Massenerschießungen etwa in Ostpolen und in der besetzten Sowjetunion gestorben. Der Befehl zum Mord an den Juden in der Sowjetunion habe im Laufe des August 1941 alle Einsatzgruppen und Einsatzkommandos erreicht, schreibt Klein in einem Aufsatz.
Konferenz sollte Deportationen beschleunigen
Die Teilnehmer der Besprechung, die erst später als "Wannsee-Konferenz" bezeichnet wird, arbeiten schon vor dem Treffen in ihren jeweiligen Ressorts aktiv an der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Man kennt sich, die Deportationen laufen aber nicht so reibungslos wie gewünscht. Es gibt Kompetenzstreitigkeiten.
"Zwischen den Planungen Berlins und den Realitäten vor Ort" hätten große Diskrepanzen bestanden, erklärt Klein. "Die deutschen Gettoverwaltungen protestierten gegen die angekündigte Zuführung von Juden aus Deutschland und reagierten mit Massenmorden an den einheimischen Juden 'um Platz zu schaffen'", schreibt der ehemalige Leiter der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Norbert Kampe.
Alle erklären sich bereit zu kooperieren
Heydrich verfolgt mit dem Treffen besonders zwei Ziele: seine Führungsrolle bei den Deportationen soll akzeptiert, die wichtigsten Ministerien und Parteiämter sollen in die Planungen einbezogen werden. Die Teilnehmer machen Vorschläge, erheben Einwände, erklären sich letztlich aber zur Kooperation ihrer Behörden bereit - und werden damit zu Mitwissern und Mittätern. Es geht bei der "Endlösung" laut Protokoll um etwa elf Millionen Menschen.
Neue Dauerausstellung in der Gedenkstätte
Seit 1992 beherbergt die 1915 errichtete Villa die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz. Seit zwei Jahren informiert eine vollkommen neu gestaltete Dauerausstellung über die Verfolgung der Juden und den Völkermord im Nationalsozialismus. Sie schafft Bezüge zur Gegenwart und fordert die Besucher zu Reaktionen auf. Das Besondere ist ihr inklusives "Design für Alle", also auch für Blinde, Lernbehinderte oder Menschen mit Rollstuhl. Es gibt Hörstationen, interaktive Bildschirme, Projektionen von Beamern oder vertiefende Bildtafeln.
Ein Schwerpunkt der Gedenkstättenarbeit sind Seminare für Berufsgruppen und Institutionen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Innen- oder des Justizministeriums werden über die Rolle ihrer Ressorts im Nationalsozialismus aufgeklärt. Polizisten und Polizistinnen lernen etwas über die Beteiligung ihrer Kollegen an Verbrechen in der NS-Zeit. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Finanzbehörden, in Heilberufen, selbst Friseure erhalten hier einen berufsspezifischen Blick auf die NS-Geschichte.
Mit dem Fund des von Eichmann nach eigener Aussage selbst verfassten Protokolls der Besprechung am Wannsee im Jahr 1947 kann die Rolle der staatlichen Verwaltung offen gelegt werden. Im historischen Konferenzraum der Villa lässt sich an einem Organigramm der "Staatssekretärsbesprechung" die Beteiligung der verschiedenen Einrichtungen ablesen. "Die Staatssekretäre setzten um, was auf der höheren politischen Ebene zuvor beschlossen worden war", heißt es zur Ausstellung.
"Kein Entscheidungsbedarf mehr"
Dabei habe es lange Zeit "zu den fast nicht mehr revidierbaren Irrtümern der Geschichtsschreibung und der Publizistik" gehört, schreibt Peter Klein in seinem Beitrag, "dass auf der 'Wannsee-Konferenz' der endgültige Beschluss zum Mord an den europäischen Juden gefasst worden sei." Die Erschießungsaktionen in der Sowjetunion, die Deportationen deutscher, österreichischer, tschechischer und Luxemburger Juden sowie der Aufbau und die Inbetriebnahme der ersten Vernichtungslager für polnische Juden zeigten aber deutlich, dass im Januar 1942 "kein Entscheidungsbedarf mehr bestand". An den 80. Jahrestag der "Wannsee-Konferenz" erinnert die Gedenkstätte ab 19. Januar mit einer dreitägigen Tagung in Berlin.
Zum Auftakt der Online- und Präsenztagung spricht der deutsch-israelische Historiker Dan Diner über die Bedeutung der Wannsee-Konferenz für das Bewusstsein über den Holocaust heute. Dazu wird auch Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) erwartet. Weitere Referentinnen sind unter anderem die Historikerinnen Deborah Lipstadt und Sybille Steinbacher sowie die Direktorin des Jüdischen Museums Berlin, Hetty Berg.
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Klein, Geschichtsprofessor am Berliner Touro College, sagte mit Blick auf die heutige Bundesrepublik: "Wenn wir davon ausgehen, dass wir eine stabile Verfassung und eine stabil agierende Regierung samt zentraler funktionierender Verwaltungszweige haben, dann sind wir aktuell weit weg von damals."
Die Gefahren lauerten in der Gesellschaft. Am Beispiel der Debatte um den Zuzug von Flüchtlingen und Migranten könne sehr gut nachvollzogen werden, dass es Tendenzen und Gruppierungen gebe, die "total vorurteilsbeladen Politik" machten und Teile in der Gesellschaft ermunterten, sich offen zu solchen Ansichten zu bekennen. "Wir müssen also doch sehr aufpassen, dass wir nicht in Situationen geraten, in denen vorurteilsbeladene Denkweisen in der Gesellschaft sich so verfestigen, dass diese irgendwann einmal Bestandteil von staatlichem Handeln werden", sagte Klein.