TV-Tipp: "Die Toten vom Bodensee: Das zweite Gesicht"

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10. Januar, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Die Toten vom Bodensee: Das zweite Gesicht"
Furchteinflößende Gestalten, dumpfe Trommelschläge, eine ausgelassene Stimmung, die aber dennoch bedrohlich ist: Der Einstieg zur 14. Folge von "Die Toten vom Bodensee" beschwört die besondere Atmosphäre eines alemannischen Festes.

Speziell ist auch die Geschichte: Eine junge Frau kommt zur Polizei, weil sie einen Mord beobachtet hat. Der Täter trug eine Maske, aber ihre Beschreibung vom Opfer ist derart exakt, dass dessen Identität umgehend geklärt werden kann. Die Tat hat sich angeblich während des nächtlichen Auftakts zum alljährlichen Bregenzer Naturgeisterfestival zugetragen. Zu diesem Anlass kostümieren sich die Menschen mit fantasievollen Verkleidungen. Es gibt allerdings drei Details, die für erhebliche Irritation sorgen: Die Polizei in Bregenz weiß nichts von einem Mord, der Mummenschanz hat noch gar nicht stattgefunden, und der Mann lebt noch. Allerdings kommt Hannah Zeiler (Nora Waldstätten) zu spät, um ihn zu warnen: Am selben Abend wird er erstochen.

Der Film heißt "Das zweite Gesicht", denn die siebzehnjährige Lisa Schwegelin (Anna Herrmann) scheint wirklich in der Lage zu sein, Verbrechen vorherzusehen, die noch gar nicht stattgefunden haben: Kurz drauf träumt sie von einem zweiten Mord. Tatsächlich finden Zeiler und ihr deutscher Kollege Oberländer (Matthias Koeberlin) von der deutsch-österreichischen Stelle zur Kriminalitätsbekämpfung am vermeintlichen Tatort eine weitere Leiche. Als das Duo die Verbindung zwischen den beiden Opfern entdeckt, zeigt sich, dass Lisa, die die Männer angeblich gar nicht kannte, ein erhebliches Mordmotiv gehabt hätte; doch dann stellt sich zur Verblüffung des Duos heraus, dass die junge Frau nicht allein ist.

Etwa zur Hälfte lässt der Film die Katze aus dem Sack. Von nun an hat sich das Drehbuchtrio offenbar von der Rimbaud’schen Sehnsucht nach Entgrenzung inspirieren lassen. Inhaltlich ist das zwar eine plausible Erklärung für Lisas vermeintliche Übersinnlichkeit, darstellerisch allerdings etwas unbefriedigend, selbst wenn Doppelrollen immer eine Herausforderung sind. Meist liegen die Unterschiede im glaubwürdigen Detail, aber Anna Herrmann, in Wirklichkeit bereits Mitte dreißig, reduziert die Verschiedenheit der beiden Persönlichkeiten hier auf verknotete Hände und dort auf übertriebene Lautstärke, die durch einen akustischen Effekt noch verstärkt wird.

Ansonsten jedoch hebt sich "Das zweite Gesicht" gerade visuell deutlich von den letzten Episoden der Reihe ab. Vor allem die Szenen vom (fiktiven) Naturgeisterfest sind sehr eindrucksvoll gefilmt (Kamera: Lukas Gnaiger); das Fackellicht und die Musik (wie stets Chris Bremus) lassen die Szenerie wie ein archaisches Ritual und entsprechend unheilvoll wirken. Lisas Visionen und Träume wiederum sind optisch leicht verfremdet, weshalb sie auch Wahnvorstellungen sein könnten.

Für "Die Toten vom Bodensee" stellt "Das zweite Gesicht" einen Einschnitt dar. Die letzten sechs Filme hat Michael Schneider inszeniert, Autor der Reihe war bis auf die ersten beiden Episoden stets Timo Berndt. Das Drehbuch ist gemeinsam von Jeanet Pfitzer, Frank Koopmann und Roland Heep verfasst worden, Regie führte erstmals Christian Theede, dessen Krimis so gut wie nie Zeitverschwendung sind; er hat zuletzt neben zwei ausgezeichneten "Sarah Kohr"-Thrillern (ZDF) den vielversprechenden ersten "Dänemark-Krimi" (ARD) gedreht. Seine Inszenierung bleibt dem besonderen Stil der Reihe treu; das gilt in diesem Fall neben den Schmuckbildern von Alpenpanorama und Bodensee sowie verschiedenen imposanten Schauplätzen auch für den leicht mystischen Stil mancher Szenen. Zum unverzichtbaren Kern gehört zudem der jeweilige Beziehungsstatus von Zeiler und Oberländer. Während ihre Affäre mit einem Nachbarn (Christopher Schärf) auserzählt scheint, birgt seine Liebelei mit der attraktiven Miriam (Martina Ebm) noch einiges an Konfliktpotenzial, denn Kollegin Zeiler ist überzeugt, dass die vorbestrafte Künstlerin Böses im Schilde führt. Zum interessant zusammengestellten Ensemble gehört neben Christoph Luser als Vormund außerdem Götz Otto als Psychiater, der in zwei wichtigen Momenten tatenlos bleiben muss: Beim ersten Mal ist er ausgesperrt, beim zweiten Mal eingesperrt.