In der sechsteiligen RTL-Serie, von "Ku’damm"-Regisseur Sven Bohse mit enormem Aufwand und optisch sehr eindrucksvoll umgesetzt, mag es ebenfalls um die "Schicksalsjahre einer Kaiserin" gehen, wie der Abschluss der "Sissi"-Reihe hieß, doch der Ansatz ist ein völlig anderer.
Die von Dominique Devenport mit einer reizvollen Mischung aus attraktiver Anmut und amüsantem Trotz verkörperte Elisabeth ist einerseits ein unbeschwerter Wildfang, andererseits aber auch eine junge Frau, die genau weiß, was sie will. Eigentlich ist die ältere Schwester Nené als Kaiserin von Österreich vorgesehen, doch als Franz Joseph (Jannik Schümann) die hübschere Sisi für seine zukünftige Braut hält, korrigiert sie ihn nicht; ein Moment, der vor allem für Nené peinlich ist.
Aber das ist nur die eine Seite der ersten Episoden. Die andere ist Abenteuer, und nun lässt das von Robert Krause und Produzent Andreas Gutzeit angeführte Drehbuchteam künstlerische Freiheit walten: Als sich der Besuch beim Kaiser nicht so entwickelt, wie Sisi das gern hätte, setzt sie sich kurzerhand auf ihr Pferd und macht sich auf den Heimweg. Franz Joseph reitet hinterher, und als Sisi im Wald in die Hände ungarischer Rebellen fällt, kommt es zu einem Kampf auf Leben und Tod, mehrere Rettungen in letzter Sekunde inklusive. In der zweiten Folge ist es die junge Herzogin, die Franz Joseph verfolgt, diesmal allerdings bei Nacht und Nebel; es gibt ohnehin viel Nebel in dieser Serie. Der Kaiser besucht ein Bordell, und als Sisi von der Prostituierten Fanny (Paula Kober) wissen will, worauf ihr Zukünftiger denn so steht, macht die ihr klar, dass sie als Dienerin nicht viel Freude an der Seite des Gatten haben werde. Zum Dank wird Sisi die Frau später als Ausgleich zum Oberhofdrachen (Tanja Schleiff) zu ihrer Kammerzofe machen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Dem Manne nicht untertan: Das mag aus heutiger Sicht nach einer Selbstverständlichkeit klingen, ist jedoch ein Aspekt, mit dem sich viele Zuschauerinnen identifizieren können. Geschickt verlagert das Drehbuch die entsprechenden Bedenken auf eine Nebenfigur: Der Vater (Marcus Grüsser) sieht die Zukunft seiner Lieblingstochter als ein Dasein im goldenen Käfig. Auch die Mutter (Julia Stemberger) versucht, das Mädchen davon zu überzeugen, dass es für ein Leben bei Hofe nicht gemacht sei, zumal sich Sisi gern über die Etikette hinwegsetzt. Aus Sicht des Kaisers trägt dies allerdings ganz erheblich zu ihrem Reiz bei: Während alle anderen artig Knicks oder Bückling machen, bleibt sie einfach stehen, was Franz Joseph ein kaum merkliches Schmunzeln im Mundwinkel entlockt.
Neben der Titelrolle war die Besetzung des männlichen Hauptdarstellers die zweite Herausforderung. Mit Jannik Schümann haben die Verantwortlichen eine nicht minder vortreffliche Wahl getroffen, denn anders als einst der Franz Joseph von Karlheinz Böhm wird der Kaiser als düstere Figur eingeführt: In seinen ersten Szenen wohnt er mit sichtlicher Genugtuung der Hinrichtung einiger Rebellen bei; die brutale Niederschlagung des Ungarn-Aufstands hat ihm die wenig schmeichelhafte Bezeichnung "Blutkaiser" eingebracht. Außerdem benimmt er sich anfangs ziemlich schnöselig. Trotzdem muss sich natürlich nachvollziehen lassen, was den Mann für Sisi so begehrenswert macht, und auch diesen Teil der Aufgabe löst Schümann mit Bravour. Eine weitere von vielen cleveren Drehbuchideen sorgt dafür, dass der Kaiser mit einem Damoklesschwert leben muss: Kaum sind die Ungarn gehenkt, wird er von einer Frau verflucht. Prompt fällt buchstäblich ein Schatten über die Szenerie; ein schlichter, aber äußerst wirkungsvoller Effekt. Dieser Schatten wird Franz Joseph fortan begleiten. Aus Angst, der Fluch könne auch Sisi treffen, will er seine Gefühle ignorieren und Nené heiraten. Bewahrheiten sollte sich seine Sorge allerdings erst über vierzig Jahre später.
Es gibt nur wenige Menschen, deren Leben so oft verfilmt worden ist, wie Elisabeth von Österreich-Ungarn. Das erste Leinwandwerk ist bereits 1920 entstanden, 22 Jahre nach ihrem Tod. Im deutschsprachigen Raum wird ihr Bild seit 65 Jahren durch Ernst Marischkas "Sissi"-Trilogie (1955 bis 1957) geprägt, die die idealisierte Ehe mit Franz Joseph als farbenprächtig verkitschte Heimatfilmromanze erzählte. Die wahre Sisi neigte zu Depressionen und war ein widersprüchlicher Charakter: einerseits sehr auf ihr Äußeres und ihre Wirkung bedacht, zumal sie so etwas wie der erste Medienstar war, andererseits sehr menschenscheu. Davon ist in der Serie nicht mehr viel übrig geblieben, so viel Realismus wollte man den Publikum dann wohl doch nicht zumuten; es reicht schon, dass Franz Joseph zu Beginn Sisis Pferd erlösen muss, indem er ihm die Kehle durchschneidet. International ist die um diverse Massenszenen ergänzte Liebesgeschichte ausgezeichnet angekommen: "Sisi" ist in viele wichtige Fernsehmärkte verkauft worden; eine Fortsetzung ist bereits in Planung. RTL zeigt die Serie heute und an den nächsten Abenden in Doppelfolgen.