Das Spektrum reicht vom Supercomputer HAL in "2001 – Odyssee im Weltraum" (1968) von Stanley Kubrick und Arthur C. Clarke bis zum Krieg gegen die Maschinen in James Camerons "Terminator"-Saga (seit 1984). Der Schrecken all’ dieser Geschichten basiert darauf, dass der Mensch Kräfte entfesselt hat, die das Kommando übernehmen. Hätte zum Beispiel eine Künstliche Intelligenz den Auftrag, den Klimawandel zu stoppen, würde sie vermutlich zu dem Schluss kommen, dass der Planet ohne den Homo sapiens besser dran wäre. Dieses Szenario bildet so etwas wie die Vorbemerkung des Films "KI": Eine Insel nahe Hawaii ist plötzlich unbewohnbar, weil das von einer Software entwickelte Pflanzenschutzmittel zwar sanft zu Bienen ist, aber nicht zu Menschen.
Weibliche Hauptfigur des Dramas ist KI-Entwicklerin Vida (Lisa Bitter), die den amerikanischen KI-Code entschlüsselt hat. Ihr Chef, Mark Reinhard (Thomas Heinze), hat einen Weg gefunden, der garantieren soll, dass der Geist in der Flasche bleibt: Die Software hat keinen Zugriff auf die Welt außerhalb ihres Computers. Außerdem können ihr nur Ja/Nein-Fragen gestellt werden, damit sie niemanden manipulieren kann. Als Vida mit Hilfe der KI eine Therapie für ihren an der Muskelschwundkrankheit ALS erkrankten Vater sucht, helfen ihr Ja/Nein-Antworten jedoch nicht weiter. Lisa Bitter verkörpert die stets dunkel gekleidete Programmiererin betont distanziert; eine schwarze Perücke und dunkle Kontaktlinsen lassen Vida noch düsterer wirken. Emotionaler Gegenentwurf ist die männliche Hauptfigur: Rechtsanwalt Tom (Daniel Donskoy) wird nicht mehr gebraucht, eine KI hat seinen Job übernommen. Ein Schulfreund gibt ihm den Tipp, den Kontakt zu einer früheren Mitschülerin aufzunehmen: Es war Vida, die diese KI entwickelt hat. Sie verrät ihm das Geheimnis ihrer sprunghaft gewachsenen Intelligenz: Ein ins Gehirn implantierter Chip hat ihren IQ regelrecht explodieren lassen. Als sich Tom ebenfalls auf diese Weise optimieren lässt, kommt es prompt zur Beziehungskrise: Freundin Mari (Halima Ilter) fühlt sich ihm nicht mehr gewachsen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"KI – Die letzte Erfindung" ist nicht für die ZDF-Fernsehfilmabteilung, sondern für die "Terra X"-Redaktion entstanden und auch kein reiner Spielfilm: Immer wieder wird die Handlung abrupt unterbrochen, damit Expertinnen und Experten aufs Stichwort passende Erklärungen liefern können. Das stört den Handlungsfluss natürlich enorm. Im Sinne des ungetrübten Rezeptionsgenusses wäre es geschickter gewesen, den Film um eine Dokumentation zu ergänzen. Davon abgesehen ist "KI" deutlich gelungener als das im Oktober ausgestrahlte ARD-Drama "Zero". Das gilt auch für den Zukunftsentwurf. Die Anmutung ist zwar insgesamt ähnlich kühl und farblos wie in vielen anderen vergleichbaren Science-Fiction-Dramen, weshalb Vidas knallroter Nagellack umso stärker auffällt, aber die optische Umsetzung wirkt aufwändiger und stimmiger: Panoramabilder von Berlin zeigen diverse Wolkenkratzer, im Hintergrund rattern nicht die bekannten S-Bahnen, sondern sausen lautlose Hochbahnen durchs Bild. Dank spezieller Linsen führen die Menschen Videotelefonate quasi vor ihrem geistigen Auge, Computermonitore sind virtuell, und als Tom sein "Upgrade" bekommen hat und zur wandelnden Enzyklopädie geworden ist, wird er mit Informationen über seine Umgebung überschüttet. Ein reizvoller Kontrast zum futuristischen Ambiente ist die Song-Auswahl: Die elektronische Filmmusik wird durch Klassiker aus den Achtzigern ergänzt. Interessanteste Nebenfigur und mehr als bloß eine Ergänzung des Ensembles ist Lorna zu Solms: Reinhards Tochter Ricarda hört gern Oldies, fährt Skateboard und will die Schule schmeißen, weil Roboter sämtliche Arbeiten übernehmen. Darüber hinaus erfreut das Drehbuch (Tamar Baumgarten-Noort, Florian Hanig) durch Details am Rande: Tom und Vida haben einst das Greta-Thunberg-Gymnasium besucht, und die Programmiererin arbeitet am Berliner Konrad-Zuse-Zentrum; die nach dem Erfinder des Computers benannte Einrichtung gibt es wirklich, allerdings heißt sie mittlerweile Zuse-Institut.
Dramaturgisch folgt "KI" dem üblichen Thrillermuster: Vida wird von der Polizei gejagt, dann folgt eine lange Rückblende über die Ereignisse der letzten drei Monate. Regie führte Christian Twente, dessen Inszenierung eher statisch ist. Er hat fürs ZDF unter anderem "Uli Hoeneß - Der Patriarch" (2015, mit Thomas Thieme), "Karl Marx - Der deutsche Prophet" (2018, mit Mario Adorf) oder "Stunden der Entscheidung" (2019, über die "Wir schaffen das"-Stunden von Angela Merkel) gedreht. Diese Filme waren "echte" Dokudramen, boten also eine schlüssige Mischung aus Spielszenen, Archivmaterial und Interviews. In "KI" sind die Ausführungen der diversen internationalen Sachverständigen (darunter auch "Terra X"- Koryphäe Harald Lesch) zwar durchaus interessant, aber die Einschübe lassen das Filmerlebnis wie ein Seminar wirken, bei dem ein Dozent ständig die Vorführung stoppt, um bestimmte Szenen zu analysieren.