TV-Tipp: "Geliefert" + "Sörensen hat Angst"

© Getty Images/iStockphoto/vicnt
Dienstag, 23. November, 3sat, 20.15 Uhr/21.45 Uhr
TV-Tipp: "Geliefert" + "Sörensen hat Angst"

Vor Jahren hat Bjarne Mädel in der ProSieben-Serie „Der kleine Mann“ (2009) einen Elektroverkäufer gespielt. Der Titel bezog sich sowohl auf die Hauptrolle wie auch auf eine Schnapssorte in handlichen Fläschchen: Der Verkäufer wurde zur Werbefigur erkoren, weil er perfekt dem Durchschnitt entsprach, und avancierte über Nacht zum Star. Der Paketbote aus „Geliefert“ ist auch so ein Durchschnittstyp, aber ansonsten ist der Film eher der Gegenentwurf zur tragikomischen Serie: Volker (Mädel) gehört zu den vielen Menschen, die sich Tag für Tag im Hamsterrad ihres Jobs abstrampeln und doch nicht von der Stelle kommen. Um sich und seinen 16jährigen Sohn Benny (Nick Julius Schuck) zu ernähren, schuftet der frühere Fußballtrainer zwölf Stunden am Tag für einen Hungerlohn als Zusteller bei einem Regensburger Paketdienst. Abends darf er sich dann auch noch die Gemeinheiten seines unsympathischen Chefs (Stefan Merki) anhören.

Die muntere Musik (Arash Safaian) signalisiert Komödie, aber was die Bilder zeigen, ist nicht lustig. Jan Fehse (Buch und Regie) macht zwar kein Drama draus, doch wer sieht, wie Volker schwere Pakete in oberste Stockwerke schleppt (und oft genug auch wieder runter), wird sich beim nächsten Mal vielleicht überlegen, ob Einkaufen im Einzelhandel nicht doch die bessere Alternative ist. Einige Szenen sind so absurd, dass sie vermutlich wahr sind: Ein Mann kauft seinen Wein nicht in der Weinhandlung im Erdgeschoss, sondern bestellt die Ware zum selben Preis online, damit er nicht die Kisten schleppen muss; da platzt selbst dem gutmütigen Volker der Kragen.

Es ist keine große Geschichte, die Fehse erzählt, aber gerade das macht den Film sehenswert, zumal Bjarne Mädel seine Rolle wie stets mit viel Empathie verkörpert. Weil das Geld hinten und vorne nicht reicht – Gemüse besorgt Volker im Supermarktcontainer –, genügt eine zusätzliche Herausforderung, um die Dinge auf die Spitze zu treiben. Da Bennys Abschluss gefährdet ist, macht Volker ihm einen Vorschlag: Wenn der Sohn die Prüfungen besteht, treibt der Vater irgendwie das Geld für die Klassenfahrt nach Mallorca auf. Das ist gewissermaßen der Anfang vom Ende seiner moralischen Integrität: Erst lässt er sich auf einen Nebenjob ein, den er während der Arbeitszeit erledigt, dann klaut er Geld bei einer verstorbenen alten Frau, und als wolle ihn das Schicksal bestrafen, geht nun alles schief: Führerschein weg, Sprunggelenk kaputt, fristlos gekündigt.

Fehse hätte die Geschichte auch im Stil einer Groteske inszenieren können, zumal in vielen Situationen ein anderer Tonfall genügt hätte, um aus Volkers Alltag eine Realsatire zu machen. Dass sich der Regisseur dennoch fürs Drama entschieden hat, lässt den Film zu einem Denkmal für die Mühseligen und – in diesem Fall buchstäblich – Beladenen werden. Die Handlung mag überschaubar sein, aber der Paketbote klingelt an sehr, sehr vielen Türen, und was er dabei erlebt, ist oft ulkig oder rührend: mal öffnet ihm Prinzessin Lillifee, die von Fremden aber nichts annehmen darf, mal sorgt er dafür, dass eine einsame alte Dame wieder Licht im Bad hat. Volker ist ohne jede Frage ein guter Mensch, der sich ein einziges Mal als Trainer nicht unter Kontrolle hatte; das war das Ende seiner Karriere. Dieses Ereignis handelt Fehse jedoch eher beiläufig ab. Sein Drehbuch kommt ohnehin oft bloß mit Andeutungen aus, die jedoch völlig genügen, um zum Beispiel von Volkers Freundschaft zu einer Polizistin (Anne Schäfer) zu erzählen; Lena, die Frau seines verstorbenen besten Freundes, ist der einzige Lichtblick in seinem Leben.

Im Anschluss zeigt 3sat „Sörensen hat Angst“ (21.45 Uhr). In seinem beachtlichen Regiedebüt spielt Bjarne Mädel einen Großstadtkommissar, der auch auf dem Land keine Ruhe findet. Der Film imponiert nicht nur durch vorzügliche darstellerische Leistungen: Dank der Bild- und Lichtgestaltung von Kameramann Kristian Leschner ist das Krimidrama auch in optischer Hinsicht sehenswert. Die dritte große Qualität des Films ist das Drehbuch. Sven Stricker hat seinen gleichnamigen Roman selbst adaptiert und Mädel auf diese Weise eine Rolle beschert, die sich deutlich von den üblichen TV-Kommissaren abhebt: Sörensen leidet unter einer Angststörung, die sich regelmäßig in Panikattacken äußert. Kaum hat er seine neuen Mitarbeiter kennengelernt, wird er bereits in einen Mordfall verwickelt: Der Bürgermeister ist erschossen worden. Also sucht Sörensen die beiden Männer auf, die einst mit dem nun hingerichteten Hinrichs ein verschworenes Trio gebildet haben. Jens Schäffler, Chef einer Fleischfabrik mit dem unpassenden Namen „Fleischeslust“, ist dem Vegetarier automatisch unsympathisch, zumal sich der überhebliche Geschäftsmann nicht in die Karten schauen lässt.

Während Peter Kurth diesen Mann mit einer Buddha-gleichen Tiefenentspanntheit versieht, ist Matthias Brandt in der Rolle des verstoßenen Dritten das genaue Gegenteil: Der frühere Kurdirektor Marek hat erst die Karriere, dann seine Familie und schließlich jede Würde verloren, nachdem kinderpornografische Bilder bei ihm entdeckt worden sind. Brandt suhlt sich geradezu in dieser völlig verkrachten Existenz; man spürt förmlich, wie viel Freude ihm die Rolle bereitet haben muss. Mädel sagt, er habe „Sörensen hat Angst“ im Grunde nur deshalb selbst inszeniert, damit der Film so wird, wie Stricker und er sich ihn vorgestellt haben. Das gilt dann vermutlich auch für die visuelle Umsetzung: Die spätwinterlich-frösteligen Bilder sorgen für die passende Atmosphäre. Auch für die Angststörungen hat Leschner eine gute Umsetzung gefunden: In solchen Momenten klebt die Kamera förmlich an Sörensens Gesicht, um ihn auch optisch in seiner Angstwelt zu isolieren.