Mietendeckel, Mietpreisbremse, Wohnraumverdichtung: Die Schlagwörter aus den Nachrichtenschnipseln im Prolog lassen keinen Zweifel daran, womit sich der sechste „Dengler“-Film beschäftigt. In „Kreuzberg Blues“, im Rahmen von Wolfgang Schorlaus Romanreihe bereits Fall Nummer zehn, geht es wieder mal um das Thema Gentrifizierung: Skrupellose Immobilienkonzerne kaufen ganze Großstadtviertel auf, vertreiben die alteingesessenen Mieter aus ihrem angestammten Kiez, sanieren die Häuser und vermieten oder verkaufen die Wohnungen dann für viel Geld an sogenannte Yuppies - junge Menschen aus boomenden Branchen, die sich den teuren Wohnraum leisten können.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Dieser erzählerische Rahmen bildet seit einigen Jahren regelmäßig den Hintergrund für Krimis, Dramen und Tragikomödien, weshalb sich die Geschichten zwangsläufig ähneln. In „Kreuzberg Blues“ ist das Mietermobbing allerdings besonders widerwärtig: Der Film beginnt mit der Aussetzung von Ratten. Eins der Tiere schlüpft durch eine Wohnungstür und nähert sich einem Babybett; und jetzt wird’s eklig. Die hochgradig schockierte Mutter (Seyneb Saleh) ist eine Freundin von Hackerin Olga (Birgit Minichmayr), die Dengler (Ronald Zehrfeld) um Hilfe bittet. Konzernchef Kröger versichert dem Detektiv glaubhaft, die Rattenplage sei nicht auf seinem Mist gewachsen, und beauftragt ihn, die Hintermänner der Aktion zu finden.
Der Immobilienunternehmer ist die mit Abstand interessanteste Personalie des Films: Kröger ist ein sogenannter Selfmademan, der sich vom Malergesellen bis ganz an die Spitze hochgearbeitet hat. Peter Trabner verkörpert den Mann nach der Devise „Du kriegst den Typen von der Straße, aber die Straße nicht aus dem Typen“: durchaus sympathisch, aber auch aufbrausend, wie Krögers Tochter Charlotte mehrfach leidvoll erfahren muss. Weniger überraschend ist die Besetzung des aalglatten Unternehmensjustiziars mit Sabin Tambrea. Etwas aufgesetzt wirken auch einige Auftritte von Birgit Minichmayr: Weil Olga nun mal nicht aus ihrer antikapitalistischen Haut kann, macht sie Dengler eine Szene, als er Krögers Auftrag annimmt. Natürlich will der Detektiv auf diese Weise auch innerhalb des Konzerns unbehelligt recherchieren; dass er das der Freundin, die ihn besser kennen müsste, erst erklären muss, ist fast ein Verrat an der Figur.
Das Drehbuch ist wie bei bislang allen Filmen der Reihe in Zusammenarbeit von Lars Kraume mit dem Romanautor entstanden. Grimme-Preisträger Kraume („Guten Morgen, Herr Grothe“) hat die ersten drei Episoden inszeniert, die Regie bei „Kreuzberg Blues“ aber wie schon zuletzt einem Kollegen überlassen; der Krimi ist Daniel Rübesams Langfilmdebüt. Die Umsetzung ist handwerklich auch dank der guten Bildgestaltung (Roland Stuprich) durchaus sehenswert, aber besonders packend ist der Film nicht. Das mag auch mit dem Sujet zu tun haben, das naturgemäß längst nicht so spektakulär ist wie etwa die Skandale rund um die verschleppte Aufklärung der „NSU“-Morde („Die schützende Hand“, 2017). Optisch ist „Kreuzberg Blues“ zudem mindestens eine Nummer kleiner als der Auftakt der Reihe; „Die letzte Flucht“ war 2015 aufwändiges und packendes Kino fürs Fernsehen. Echte Spannung kommt diesmal nur auf, als Dengler beinahe Opfer eines Brandanschlags wird.
Sehenswert ist der Film daher vor allem in darstellerischer Hinsicht. Kira Zurhausen zum Beispiel hat als Krögers Tochter zwar nicht viel zu tun, empfiehlt sich aber dennoch für höhere Aufgaben. Für Seyneb Saleh gilt das nicht mehr, weil sie diesen Status längst erreicht hat, unter anderem zuletzt als weibliche Hauptdarstellerin an der Seite von Jürgen Vogel in der neuen ZDF-Serie „Jenseits der Spree“. Ronald Zehrfeld ist dank seiner enormen Präsenz ohnehin ein Gewinn für jeden Film. Birgit Minichmayr hat dagegen kaum Gelegenheit, dem Rollenklischee „Zornige Rebellin“ überraschende Seiten abzugewinnen, weshalb Olgas Kommentare („spätkapitalistische Dekadenz“) bloß wie eine Attitüde wirken. Einige Szenen der Hackerin, etwa die Auseinandersetzung mit einer männlichen Bekanntschaft für eine Nacht oder ein beinahe handgreiflicher Streit mit einem Taxifahrer, sind sogar überflüssig, weil sie der Geschichte nicht weiterhelfen. Das gilt zwar zumindest in Bezug auf den Schauplatz auch für den Besuch Denglers in der VIP-Loge Krögers im Berliner Olympiastadion, aber hier ist immerhin der Handlungsort originell. Eine echte Überraschung ist allein der Schluss mit seinem ausgesprochen abstoßenden Blick in einen menschlichen Abgrund.