Die arabische Kultur bietet einen unerschöpflichen Schatz an Metaphern und Redewendungen, die oft von einer berückenden Schönheit sind und zudem meist sehr weise klingen. „Ein Verliebter sieht eine Blume anders als ein Kamel“, sagt gegen Ende der 13. „München Mord“-Episode ein junger Mann namens Karim zu der Frau, die er liebt. Bis zu diesem Happy End ist es jedoch ein weiter Weg, denn zuvor gilt es, einen Mordfall zu klären, der allem Anschein nach gar keiner ist: In einer Schrebergartensiedlung ist eine Gasleitung explodiert. Opfer des Unglücks war ein Mann, der im Vorstand für die Vergabe der Parzellen zuständig ist und nicht nur Freunde hatte, weil er bei seinen Entscheidung gern auch mal Willkür walten ließ.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Eine vermeintliche Idylle dieser Art hat schon einmal den Hintergrund für einen Samstagskrimi im „Zweiten“ gebildet: In der Jubiläumsepisode der ZDF-Reihe „Ein starkes Team“, „Erntedank“ (2019), mischte sich Kommissar Garber im Rahmen einer Mördersuche „undercover“ unter die Mitglieder einer Kleingartenkolonie. Autorinnen und Autoren nutzen solche Schauplätze gern, um sie als Mikrokosmos vorzuführen, weil sich hier im Kleinen vollzieht, was außerhalb der Hecken im Großen passiert. Das Personal des Drehbuchs von Friedrich Ani und Ina Jung ist allerdings überschaubar. Die Handlung konzentriert sich zunächst auf zwei Männer, die kaum unterschiedlicher sein könnten: hier der verwitwete Eigenbrötler Walter (Helmfried von Lüttichau), der seit einer Kehlkopfoperation nicht mehr sprechen kann, dort der Künstler Papst (Rufus Beck), eigentlich kein unsympathischer Zeitgenosse, dem jedoch die Beziehung seiner schönen schwangeren Tochter Celine (Lena Meckel) mit Karim (Hassan Akkouch) mehr als nur ein Dorn im Auge ist.
Es dauert eine Weile, bis sich zeigt, dass der Film damit bei seinem Thema ist, aber Andeutungen gibt es schon vorher: Das Ehepaar Ani lässt Angelika Flierl (Bernadette Heerwagen) in einem Dating-Portal nach einem Mann fürs Leben suchen. Dabei hätte schon der Name der entsprechenden App die ansonsten durchaus kluge Oberkommissarin stutzig machen können: „ewigtreu“ klingt verdächtig nach dem SS-Wahlspruch „Meine Ehre heißt Treue“. Prompt entpuppt sich ihre erste Verabredung als Neonazi, der deutsche Kinder zeugen will und vom Staatsschutz beobachtet wird; kein Wunder, dass der aufgeblasene Kriminaloberrat Zangel (Christoph Süß) diesmal zu Recht an der Kompetenz der Beamtin zweifelt. Aber dieser Exkurs ist nur ein Nebenstrang, der unterstreichen soll, welch’ sinistre Persönlichkeit der Kunst-Papst ist: Der Mann ist zwar ein durchaus liebevoller Vater, gehört aber ebenfalls zu dem rechten Netzwerk. Die interessantere Figur ist trotzdem Walter, zumal ein Schauspieler von Format wie Helmfried von Lüttichau keine Worte braucht, um Akzente zu setzen.
Der eigentliche Reiz des Films liegt jedoch im Miteinander des Ermittlertrios. Weil der Chef, Ludwig Schaller (Alexander Held), wie stets zunächst einsam seine Kreise zieht, lädt Neuhauser (Marcus Mittermeier) seinen Unmut über die vermeintlich unnötige Ermittlung bei der Kollegin ab. Kaum ist das geklärt, weil sich rausstellt, dass die Gasleitung manipuliert worden ist, ereifert er sich über Schrebergartenkolonien, die er stur als „Spießerstadl“ bezeichnet. Ein reizvoller Kontrast zu den sorgfältig formulierten Dialogen sind die wortlosen Verständigungen zwischen dem Duo, zumal sie von Regisseur Matthias Kiefersauer bewusst als Fremdkörper in Szene gesetzt hat, denn schließlich geht es in der Geschichte ausdrücklich um Zwischentöne, wie Schaller im Vorwort betont: Sprache sei weit mehr als Vokabeln und Grammatik; oft genug sei die Wahrheit zwischen den Zeilen versteckt. Tatsächlich muss man nicht mal sprechen können, um zu lügen.
Sehr schön ist auch die Idee, die Parzelle des Opfers im Schiffsstil zu gestalten: Der Mann hat schon als Kind davon geträumt, Kapitän zu werden, litt aber dummerweise unter Seekrankheit; die entsprechende Szene hat Kiefersauer mit einer passenden maritimen Geräuschkulisse unterlegt. Hier siedelt das Drehbuch auch das Schlussbild an, als Flierl mit ausgebreiteten Armen die berühmte Szene aus „Titanic“ nachstellt. Dazu erklingt jedoch nicht etwa Céline Dions Welthit „My heart will go on“, sondern sinnigerweise ein Song der Band Walking on Cars: „Ship goes down“. Das letzte Wort hat Schaller: „Die Liebe ist wie ein Garten. Wenn man sie nicht pflegt, verkommt sie.“