Interessant wird die Geschichte tags drauf, als Eva (Imogen Kogge), eine der beiden Frauen des Trios, in eine Polizeikontrolle gerät und eine weggeworfene Zigarette dafür sorgt, dass ihr alter Kleinbus in die Luft fliegt. Auf der polnischen Seite der Insel wird derweil ein alter Mann aufgegriffen, der sein Gedächtnis verloren hat, aber überzeugt ist, er habe jemanden erschossen; tatsächlich ist Renate, die zweite Frau, spurlos verschwunden.
Das Drehbuch ist erneut von Dinah Marthe Golch, die schon den Trilogie-Auftakt „Entführt“ geschrieben hat und nun den Konflikt zwischen Ellen Norgaard (Rikke Lylloff) und ihrer Mutter Patrizia (Marion Kracht) wieder aufgreift: Die vor dreißig Jahren verschwundene psychisch gestörte Frau hatte ihren kleinen Enkel entführt, um auf diese Weise den Kontakt zu ihrer Tochter zu suchen. Eigentlich ist Lylloff die zweite Hauptdarstellerin, aber weil Ellen krank geschrieben und daher wie in „Entführt“, als sie wegen ihrer Befangenheit von den Ermittlungen ausgeschlossen war, bloß als Privatperson mitwirkt, spielt die dänische Schauspielerin erneut bloß eine Nebenrolle. Im Grunde hat sie kaum mehr zu tun, als Patrizia im Gefängnis zu besuchen, um endlich mit dem Trauma ihrer Kindheit abschließen zu können. Auf diese Weise schließen sich zwar einige Kreise, aber eine wichtige Frage bleibt unbeantwortet.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Im Zentrum des Films steht ohnehin die Suche nach der verschwundenen Renate. Das Hippie-Trio lebt auf einem Gaststättenschiff und bildet offenbar eine Lebens- und Liebesgemeinschaft. Ihre Mutter, sagt Renates Tochter (Kristin Suckow), sei dem Mann des Trios hörig, „auch sexuell“. Vermutlich haben alle drei ein Problem mit Autoritäten, aber ausleben darf diese Lebenshaltung vor allem Eva, die sich gegenüber der Staatsgewalt entsprechend rebellisch aufführen muss. Selbst Imogen Kogge kann nicht verhindern, dass die Rolle nicht nur deshalb ziemlich klischeehaft wirkt; eigentlich fehlt nur noch der Leitsatz „Am Morgen ein Joint, und der Tag ist dein Freund“.
Weil irgendwie natürlich auch Karin Lossow (Katrin Sass) in den Fall miteinbezogen werden muss, gibt Golch der Beziehung zwischen der Ex-Staatsanwältin und dem polnischen Polizisten Gadocha (Merab Ninidze) eine zweite Chance. Sie fährt auf die polnische Seite der Insel, wo ihr Freund gerade versucht, aus dem vorübergehend in einem Krankenhaus untergebrachten verwirrten Alten (Christian Steyer) nähere Information zur vermeintlichen Tat rauszubekommen. Karin nimmt sich des Mannes an und stößt so schließlich auf die Dreierkommune. Der Alte heißt Ulf und ist am letzten gemeinsamen Abend des Trios mit einem Jagdgewehr im Wald verschwunden, Renate dicht auf seinen Fersen. Als ihre Leiche gefunden wird, steht Ulf unter dringendem Mordverdacht: Die Frau ist eindeutig mit einem Jagdgewehr erschossen worden. Allerdings findet sich eine entsprechende Waffe auch in den verkohlten Überresten von Evas Kleinbus.
Abgesehen von der Diskrepanz zwischen dem auch von Regisseur Ralph Huettner im Interview ausdrücklich betonten Status des Trios als „68er“ und der Realität des Films – die beiden Frauen, heißt es, seien Anfang beziehungsweise Mitte sechzig – imponiert die Reihe auch im 16. Film nicht zuletzt durch die optische Kontinuität. Alexander Fischerkoesen, unter anderem mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet, war zwar bereits in der Episode „Schmerzgrenze“ sowie zuletzt bei „Ungebetene Gäste“ für die Bildgestaltung verantwortlich, aber Huettner gibt mit „Der lange Abschied“ sein „Usedom“-Debüt. Obwohl Regisseure und Kameraleute regelmäßig wechseln, wirken die Filme dennoch wie aus einem Guss. Auch Huettner bleibt dem bedächtigen Inszenierungsstil seiner Vorgänger treu. Auf Usedom beginnt zwar mittlerweile langsam der Frühling, aber Fischerkoesens Bilder sind dennoch frostig; bei den Innaufnahmen sorgt ein leichter Grünstich dafür, dass die Szenen im Revier, im Gefängnis und im Krankenhaus keinerlei Behaglichkeit aufkommen lassen.