Kein Wunder: Die mutmaßliche Entführung eines Jungen bietet keinerlei Anlass für Späße. Betroffen sind ein Cousin von Ekki und dessen Frau (Stephan Kampwirth, Claudia Michelsen). Wilsberg ahnt gleich, dass irgendwas nicht stimmt, und tatsächlich entpuppt sich der Vater, dessen Firma pleite ist, als Trittbrettfahrer seines eigenen Falls; der Sohn bleibt trotzdem verschwunden.
Für allenfalls grimmigen Humor sorgen allein die Dorfbewohner. Autor Jürgen Kehrer zeichnet sie als gewaltbereite Hinterwäldler, die allen Fremden mit Misstrauen begegnen. Das bekommt neben Wilsberg auch ein Mann zu spüren, der schließlich für die Polizei zum Hauptverdächtigen wird: Auf dem Grundstück eines Nachbarn (Michael Lott) werden Kleidungsstücke des jungen gefunden. Vor zwölf Jahren war Schwendtner wegen Kindesmissbrauchs angeklagt, wurde damals aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Als Pflichtverteidigerin wird ausgerechnet Wilsbergs einstiges Mündel Alex (Ina Paule Klink) bestellt. Die kann ihren Mandanten zwar auf Anhieb nicht leiden, ist aber die einzige, die sich für die Unschuldsvermutung stark macht. Dabei hat Schwendtner tatsächlich Dreck am Stecken.
Wie stets in den „Wilsberg“-Krimis gibt es überschaubare Nebenschauplätze mit mehr oder weniger großem Bezug zur Handlung. So soll Ekki zum Beispiel beobachten, wer das auf einem Autobahnrastplatz deponierte Lösegeld abholt, wird aber von den Reizen einer freizügig dekolletierten Fremden abgelenkt. Die Unbekannte ist niemand anders als seine Sandkastengespielin Silke (Nadja Becker), die seine Eltern gern zur Schwiegertochter hätten. Auch Wilsberg hat ein romantisches Abenteuer; allerdings verläuft seine Liaison mit der Dorfwirtin (Bettina Kupfer) ungleich platonischer.
Originellste Figur der von Hans-Günther Bücking (Kamera und Regie) inszenierten Geschichte ist Nils Erdel (Daniel Roesner). Der junge Mann gerät zwar gleichfalls vorübergehend ins Visier der Polizei, ist aber bloß ein harmloser Spinner, der an Ufos glaubt. Trotzdem stellt er das Bindeglied zum nächsten Beitrag der Reihe dar, die Neo im Anschluss um 21.45 Uhr zeigt. Erdel weist den Detektiv auf eine „Bielefeld-Verschwörung“ hin. So lautet auch der Titel der nächsten Episode.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Viel in Bielefeld haben sich schon lange damit abgefunden, dass ihre Stadt angeblich überhaupt nicht existiert. Im Internet treibt die Theorie seit Jahrzehnten immer kuriosere Blüten; nun ist sie Motor eines originellen Krimis. Bielefeld gehört ohnehin zum festen Repertoire der Reihe: Die Heimatstadt von „Wilsberg“-Redakteur Martin R. Neumann taucht in jedem Film auf; und sei es als Ortsschild. Erdel hat Beweise dafür, dass Bielefeld eine Fälschung ist, und fürchtet nun um sein Leben. Wilsberg wimmelt ihn ab, aber als der junge Mann angeblich einen tödlichen Herzinfarkt erleidet, fühlt er sich verpflichtet, der Sache nachzugehen; und das ist bloß der Auftakt zu einer Geschichte, die bei aller Zitierfreude und diversen parodistischen Ansätzen trotzdem ein Krimi bleibt, in dem es letztlich um handfeste wirtschaftliche Interessen geht (Buch: Timo Berndt, Kamera und Regie: Hans-Günther Bücking).
Zur großen Freude der „Wilsberg“-Fans gibt es zudem ein Wiedersehen mit Manni Hoech (Heinrich Schafmeister). Der alte Freund des Privatdetektivs hatte Münster sieben Jahre zuvor verlassen (übrigens Richtung Bielefeld) und bringt die Sache sogar erst ins Rollen, als er in seinem Büro im Bauamt einen Einbrecher überrascht. Der Mann hat sich auf einem Zettel den Namen Nils Erdel und dessen Adresse notiert. Als Manni der Sache in Münster nachgehen will, kommt es zu einigen amüsanten Szenen zwischen ihm und Ekki (Oliver Korittke), seinem Nachfolger als Wilsbergs Autoverleiher: Ekki reagiert eifersüchtig wie eine neue Freundin auf ihre Vorgängerin und hält Manni gar für den Drahtzieher jener Bewegung, die Nils und seine Freunde zum Schweigen bringen will.
Der Film ist ein Fest für Verschwörungsfreunde; natürlich darf auch das „Akte X“-Zitat nicht fehlen („Die Wahrheit ist irgendwo da draußen“). Immer wieder unterfüttert das Drehbuch die Theorien mit liebevoll ersonnenen Details. Als Ekki den Spuk beenden und mit dem Auto nach Bielefeld fahren will, endet er trotz Navigationsgerät irgendwo im Nirgendwo.
Eine wunderbare Krimikomödie, an deren Vergnüglichkeit Kommissar Overbeck (Roland Jankovsky), der verhinderte Geheimagent, dank einer unfreiwilligen Bekanntschaft mit Halluzinogenen großen Anteil hat.