Deutschland wird multireligiöser. Christen, Muslime und Juden leben und arbeiten zusammen, begegnen einander in der Nachbarschaft oder in Gremien. Und dennoch wissen viele nur sehr wenig darüber, was und wie andere glauben. Um das Gespräch zwischen den sogenannten abrahamitischen Religionen zu beflügeln, startete am Montag in Tübingen der Master-Studiengang „Theologien interreligiös - Interfaith Studies“.
Das Besondere dabei: Die Positionen von evangelischer, katholischer, islamischer und jüdischer Theologie werden von Vertretern der jeweiligen Glaubensrichtung präsentiert. Im Gegensatz zu allgemeiner Religionswissenschaft, die gleichsam von außen auf die Religionen schaut, kommen die Dozenten hier von „innen“ und aus einer eigenen Glaubenspraxis. „Wir haben ein bewusst theologisches Konzept“, erläutert der evangelische Theologe Volker Henning Drecoll.
Die größte Hürde für die Tübinger ist dabei, dass es an der Universität keinen Lehrstuhl für jüdische Theologie gibt. Zwar sind ein Lehrstuhl für Neues Testament und hellenistisches Judentum sowie das Institutum Judaicum im Angebot - doch an beiden Stellen informieren nichtjüdische Wissenschaftler über jüdische Theologie. Deshalb werde man für die jüdische Theologie auch auf Gastdozenten zurückgreifen, sagt Drecoll.
Zielgruppe des Studiengangs sind Menschen, die später in Politik oder Bildung das interreligiöse Gespräch voranbringen wollen. Die Organisatoren denken dabei etwa an Integrationsbeauftragte in den Kommunen oder Verantwortliche an Akademien, in der Erwachsenenbildung oder an den Volkshochschulen.
Voraussetzung für das Studium ist der Bachelorabschluss in einem anderen Fach, zum Beispiel Geschichte oder Sozialpädagogik mit Zweitfach Theologie. Auch das Verstehen einer der vier Sprachen Hebräisch, Griechisch, Lateinisch oder Arabisch gehört dazu. Bewerbungen würden individuell geprüft. Es habe bereits Ablehnungen gegeben, weil der Notendurchschnitt von Kandidaten zu schlecht gewesen sei oder es bei einer Bewerbung aus dem Ausland an den Deutschkenntnissen scheiterte, erklärt Drecoll.
Anfang mit acht Studierenden
Zum Start des Studiengangs sind nun acht Frauen und Männer eingeschrieben. Für den evangelischen Theologen Drecoll ist das ein guter Anfang, denn man wolle in die Werbung erst einsteigen, wenn das Ausbildungsprogramm in Gang gekommen sei. Mehrere Studenten stammten aus Deutschland, hätten in der Türkei islamische Theologie studiert und kehrten jetzt nach Deutschland zurück.
Im ersten Semester liege der Fokus darauf, die Theologien kennenzulernen, in denen man nicht zu Hause sei, ergänzt Drecoll. Ein Muslim etwa befasse sich dann überwiegend mit katholischer, evangelischer und jüdischer Theologie. Auch aktuelle Fragen sollen in den kommenden Semestern zur Sprache kommen. So sei denkbar, interreligiös den Kirchen- und Moscheebau in deutschen Städten und damit verbunden das Glockenläuten und den Muezzinruf in einem Seminar zu behandeln.
In Tübingen entsteht derzeit ein „Campus der Theologien“. Unmittelbar neben dem Theologicum, in dem evangelische und katholische Fakultät zu Hause sind, wird momentan das Zentrum für islamische Theologie gebaut. Der neue interreligiöse Master-Studiengang ist nach Einschätzung Drecolls ein „wichtiger erster Ball, der auf diesem Campus ins Rollen kommt“.