Trotzdem bildet eine Schwangerschaft das erzählerische Zentrum des Films. Dessen Geschichte lässt sich auf einen kurzen Satz reduzieren: Josie kriegt ein Kind. Das klingt zunächst nicht ungewöhnlich, schließlich sind Vorgänge dieser Art Dreh- und Angelpunkt der Reihe. Anders als zuletzt ist Toni diesmal jedoch gewissermaßen nur Passagier im eigenen Leben: Josie ist seine Tochter; und sie ist erst 17.
Bislang verkörperte Maria Monsorno nur eine Nebenfigur. Anfangs drehten sich die Filme um die ungeklärte Beziehung zwischen Toni und Frauenärztin Luise (Wolke Hegenbarth), mit der er sich eine Praxis teilt, sowie um die vergeblichen Versuche, seine Frau Hanna (Kathrin von Steinburg) zurückzuerobern. Wie in allen „Medicals“ im „Ersten“ verknüpften die Drehbücher (allesamt von Sebastian Stojetz und Regisseurin Sibylle Tafel) den emotionalen Kern mit in sich abgeschlossenen Episodengeschichten. Im Grunde gilt das auch für „Nestflucht“; mit dem Unterschied, dass Josies Problem alle Beteiligten betrifft. Und um ein Problem handelt es sich in der Tat, denn die junge Frau hat ganz andere Pläne; vor allem ganz andere als ihre Eltern.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Während Einser-Abiturientin Hanna wie selbstverständlich davon ausgeht, dass ihre Tochter studieren wird, will Josie gemeinsam mit Freundin Roxy (Matilda Tafel hat schon in mehreren Filmen ihrer Mutter mitgewirkt) die Welt retten: Die beiden haben bereits Plätze auf einem Containerfrachter nach Australien gebucht, um sich dort für den Schutz des Great Barrier Reef zu engagieren. Für Roxy steht außer Frage, dass Josie abtreibt, zumal sie doch einen direkten Draht zu Luise hat. Die Ärztin hält sich jedoch selbstverständlich ans gesetzlich vorgeschriebene Procedere und schickt das Mädchen zu einer Beratungsstelle. Josie will zudem erst mal den kaum älteren Erzeuger informieren. Weil Toni derweil zufällig den positiven Schwangerschaftstext gefunden hat, machen sich die besorgten Eltern nun gemeinsam mit Luise auf die Suche; derweil kümmert sich Tonis Freund und WG-Partner Franzl (Frederic Linkemann) um Luises Baby, was zu einigen witzigen Überforderungsmomenten führt.
Der Tonfall des Films ist ohnehin vorwiegend heiter; dafür sorgt nicht zuletzt eine Quiche mit „Magic Mushrooms“ (oder auch „narrische Schwammerln“, wie man in Bayern sagt), die Franzl zum Jahrestag mit seiner großen Liebe Evi (Juliane Köhler) gebacken hat. Da das Trio mit seinem Camper unterwegs ist, in dessen Mikrowelle das Gebäck auf seinen Verzehr wartet, wachen die drei schließlich in der Ausnüchterungszelle just jenes Reviers wieder auf, in dem Luise bereits zu Beginn des Films gelandet ist, nachdem sie auf allerlei sachbeschädigende Weise Rache an ihrem Ex (Marcus Mittermeier ist nur als Foto vertreten) genommen hat.
Neben allem Amüsement behandelt der Film das zentrale Thema durchaus seriös; eine Teenager-Schwangerschaft ist schließlich erst mal nicht lustig. Die Reaktion von Josies Eltern wird zwar unterhaltsam verpackt, aber der Konflikt zwischen dem getrennt lebenden Paar wird dennoch deutlich: Sie ist schockiert, fürchtet um das bevorstehende Abitur der Tochter und plädiert wie Roxy für eine Abtreibung; er ist der Meinung, es sei Josies Leben, sie müssten die Entscheidung ihr überlassen. Das bringt ihm prompt den Vorwurf ein, er sei zu feige, um der Tochter Grenzen zu setzen. Bevor sie zwischen diesen beiden Polen zerrieben wird, klaut Josie kurzerhand Franzls Auto und bricht aus; vorher verpasst sie ihrer Mutter allerdings noch eine Abreibung. Gerade in dieser emotionalen Szene zeigt sich, gut Tafel die junge Schauspielerin geführt hat; auch erfahrene Darsteller schießen bei lautstarken Wutausbrüchen gern mal übers Ziel hinaus, was dann schnell lächerlich wirken kann.
Drittes großes Plus des Films neben dem handlungsreichen Drehbuch mit seinen flotten Dialogen und der Arbeit mit dem ausnahmslos vorzüglichen Ensemble – Marcel Mohab zum Beispiel holt aus seiner kleinen Rolle als Polizist mehr raus, als eigentlich drin steckt – ist die gesamte Inszenierung. Die Bildgestaltung (Florian Schilling) zum Beispiel ist sehr sorgfältig; auch Ausstattung und Kostümbild haben nicht zuletzt dank des knallbunten Lebensentwurfs von Franzl einen wichtigen Anteil an der hohen Gesamtqualität.