Fußballfans wissen, dass ein Spiel zwei unterschiedliche Halbzeiten haben kann: In den ersten 45 Minuten plätschert es ereignislos vor sich hin, in der zweiten Hälfte gibt eine der beiden Mannschaften derart viel Gas, dass Sportreporter gern darüber spekulieren, ob ein besonderer Pausentee oder eine lautstarke Traineransprache für den Umschwung gesorgt hätten. Fernsehfilme dauern in der Regel ebenfalls neunzig Minuten, aber natürlich gibt es keine Pause, weshalb sich die Frage erübrigt, ob Regisseur Johannes Grieser bei "Sterben auf Probe" mittendrin die Taktik geändert hat, zumal Dreharbeiten so gut wie nie chronologisch ablaufen. Der Unterschied zwischen den beiden Filmhälften ist jedoch frappierend: Die ersten 45 Minuten ziehen sich wie ein durchgekauter Kaugummi, aber dann schlägt die Handlung derart viele Haken, dass die erste Halbzeit wie ein überlanges Aufwärmprogramm wirkt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die 85. Episode des ZDF-Klassikers "Ein starkes Team" beginnt mit dem obligaten Todesfall: Ein Unternehmer hat seine Angehörigen zusammengerufen, um mit ihnen über sein Testament zu sprechen. Nachdem er letzte Hand an den letzten Willen gelegt hat, bricht er tot zusammen. Alles deutet auf einen Herzinfarkt hin, aber dem Notarzt kommt die Sache nicht geheuer vor. Tatsächlich ist der alte Mann keines natürlichen Todes gestorben: Jemand hat ihm eine Überdosis seines Blutdruckmittels verabreicht und das Testament verschwinden lassen. Als Täter oder Täterin kommt nur ein Familienmitglied in frage: die Gattin (Leslie Malton), die Stieftochter (Lisa Marie Janke) oder einer der beiden Söhne.
Geschichten wie diese sind vermutlich schon hundert-, wenn nicht gar tausendfach in einer der unzähligen Krimiserien und -reihen erzählt worden; auch die Inszenierung entspricht dem handelsüblichen TV-Standard. Die Verdachtsmomente konzentrieren sich alsbald auf die erwachsenen Kinder: Der ältere Sohn (Jan Krauter) ist sauer, dass sein Vater nicht etwa ihm, sondern seiner Halbschwester die Leitung der familieneigenen großen Spedition übertragen hat; das Testament hätte diese Personalie womöglich bekräftigt. Aber vielleicht wollte der Alte die Regelung auch rückgängig machen; das würde die Tochter belasten. Der jüngere Sohn (Theo Trebs) ist drogenabhängig, hat einen Haufen Schulden und braucht dringend Geld. Außerdem ist er vom Vater verstoßen worden. Bis hierher folgt die Handlung der bewährten Devise "Wer so eine Familie hat, braucht keine Feinde." Spannung kommt nicht einen Moment lang auf, alles wirkt sehr routiniert. Für eine gewisse Neugier sorgt allenfalls die Frage, wer der junge Mann (Junis Marlon) ist, der sich vor dem Haus von Familie Paulsen rumdrückt und nach dem Tod des Patriarchen verschwindet.
Die letzten Episoden, die Grieser für "Ein starkes Team" gedreht hat, waren zwar ebenfalls weit von Nervenkitzel entfernt, aber immerhin keine Zeitverschwendung. Außerdem stammt das Drehbuch von Jürgen Pomorin, der als Leo P. Ard ein gewisser Garant für gute Krimiunterhaltung ist. Dieses Versprechen erfüllt der Film dann in der zweiten Hälfte, als auch die beiden Frauen ins Zentrum rücken. Prompt drängt sich wieder der Vergleich zum Fußball auf, weil neue Kräfte viel Bewegung ins vermeintlich überschaubare Familienbild bringen: Der alte Paulsen, der seine Frau jahrzehntelang wegen einer Affäre mit seinem früheren Kompagnon gedemütigt hat, war ebenfalls kein Kind von Traurigkeit.
Wer sich nach 45 Minuten nicht schon längst von dem Film verabschiedet hat, wird durch die vielen Handlungskapriolen entschädigt, zumal auch die leicht angejazzte Musik (Jens Langbein, Robert Schulte Hemming) sehr hörenswert ist. Darstellerisch bewegt sich der ohnehin nicht gerade aufregend besetzte Film dagegen auf durchschnittlichem Kriminiveau. Einige private Dialogszenen, in denen sich Otto Garber und Linett Wachow über ihren letzten Willen unterhalten, sind zwar recht sympathisch, aber ansonsten wirken Florian Martens und Stefanie Stappenbeck unterfordert. Matthi Faust hat als Kollege Klöckner zumindest den einen oder anderen coolen Auftritt. Halbwegs amüsant ist auch die Comedy-Ebene: Das Team macht einen Betriebsausflug in ein Wettbüro, wo Teamchef Reddemann (Arnfried Lerche) auf den Geschmack kommt und prompt zum Zocker wird. Die mit Abstand interessanteste Rolle der Geschichte spielt allerdings Gerd Silberbauer als Obdachloser, der dem jungen Mann eine Erkenntnis mitgibt: Das Leben sei kein Kinofilm mit Happy-End-Garantie; eine Lebensweisheit, mit der er im eigenen Fall auf überraschende Weise komplett daneben liegt.