Wenn eine Maschine die Orgel spielt

Peter Ammer, Kirchenmusikdirektor und Präsident des Verbands Evangelischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker in Deutschland
© epd-bild/privat
Organist Peter Ammer steuert vom Laptop aus die Orgel in der Johanniskirche in Nagold.
Zukunft der Kirchenmusik?
Wenn eine Maschine die Orgel spielt
In vielen Kirchengemeinden fehlen Organisten, oft werden die Orgeln dann auch nicht mehr gewartet. Peter Ammer vom evangelischen Kirchenmusikverband will das ändern - und ist sogar dafür offen, dass als Notlösung eine Maschine die Orgel spielt.
26.09.2021
epd
Judith Kubitscheck

Wenn Peter Ammer von Orgeln spricht, kommt er ins Schwärmen: Große Orgeln vereinten ein ganzes Orchester in einem Instrument. Es gebe kein besseres Gemeindebegleitinstrument, das eine Person allein bedienen könne. Die Orgel ist „Instrument des Jahres“, sie führt seit Jahrhunderten durch Liturgie und Lieder christlicher Gottesdienste. „Aber leider verrotten die Orgeln in manchen Kirchen, weil es keine Einsicht gibt, dass diese gepflegt und gewartet werden müssen“, sagt Ammer. Dies liege auch daran, dass schlicht der Organisten-Nachwuchs fehle.

Ammer muss es wissen: Er ist Kirchenmusikdirektor und Präsident des Verbands Evangelischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker in Deutschland. Derzeit gebe es 386 evangelische Kirchenmusikstudierende in Deutschland, sagt er. Diese Zahl reiche längst nicht aus, alle frei werdenden Stellen wieder zu besetzen.

Deutschlandweit gingen rund 35 evangelische Kirchenmusiker pro Jahr nach dem Studium in den Beruf - in wenigen Jahren aber müssen 60 Stellen wegen Ruhestands jährlich neu besetzt werden. Diese ausgebildeten Kirchenmusiker:innen sind es auch fast ausschließlich, die Orgelunterricht geben und damit den nebenamtlichen Organistennachwuchs sicherstellen.

"Gemeindegesang gefährdet“

Es wird in Gottesdiensten immer wieder die Situation geben, dass Organisten und Organistinnen fehlen. Und, sagt Ammer: „Wenn die Orgel nicht mehr spielt, ist oft auch der Gemeindegesang gefährdet.“

Eine Möglichkeit, mit dem Organistenmangel umzugehen, ist ein Orgelautomat - die sogenannte „Organola“, die der Ingenieur Klaus Holzapfel aus dem bayerischen Zierheim-Reistingen im Landkreis Dillingen an der Donau entwickelt hat. Es geht ihm nicht darum, die Organisten wegzurationalisieren, sondern eine Möglichkeit zu schaffen, dass die Gemeinde begleitet wird, wenn es keinen Organisten gibt, wie er oft betont.

Die Organola besteht aus einem Aufsatz, der auf die Orgeltasten gesetzt wird. Anstelle von Menschenfingern drücken dann kleine Filzstößel diese auf Anweisung eines Steuergeräts nach unten. Die Lieder werden zuvor am Computer aus einer Datenbank von mehr als Tausend eingespielten Liederdateien ausgewählt und auf einem USB-Stick gespeichert, der in das Steuergerät gesteckt wird. Per Knopfdruck spielt die Organola die vorprogrammierten Lieder ab. Die Organola gibt es seit 1992 und ist laut Klaus Holzapfel deutschlandweit in mehr als 400 Kirchengemeinden im Einsatz.

Kirchenmusiker Ammer hat an seinem Wirkungsort in Nagold im Nordosten des Schwarzwaldes ebenfalls experimentiert: Im Rahmen des Digitalisierungsprojekts „Singen - Orgel 4.0“ wurde mit Mitteln der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine Software entwickelt, die es erlaubt, vom Laptop aus die Orgel anzusteuern und spielen zu lassen. Möglich ist das, weil die Orgel mit einem Magnetsystem ausgestattet ist, das die Steuerung der Register und den Anschlag der Tasten übernehmen kann.

Orgel spielt, wenn Besucher Kirche betreten

So werden viele neue Möglichkeiten geschaffen: Eine Orgel kann beispielsweise selbständig zu spielen beginnen, wenn jemand die Kirche betritt. Oder eine einstimmige Liedbegleitung wird digital um Akkorde ergänzt. Wenn ein nebenberuflicher Organist mit der Begleitung von neuem Liedgut überfordert ist, kann er zukünftig das Lied in unterschiedlichen modernen Stilen digital begleiten lassen.

©Anika Kempf

Um den Unterschied von Originalklang und hochwertigen Samples im selben Raum demonstrieren zu können, wurden alle Töne der Orgel einzeln aufgenommen und digitalisiert. Die digitalen Klänge werden über Lautsprecher wiedergegeben - was dem Kirchenmusiker zufolge aber längst nicht so authentisch klingt wie eine echte Pfeifenorgel. Dies liege auch daran, dass bei dem digitalen Orgelklang die Obertöne abgeschnitten würden und die Töne nicht so verschmelzen wie bei realen Pfeifenklängen.

Echte Pfeifenorgel wesentlich nachhaltiger

Außerdem sei eine echte Pfeifenorgel wesentlich nachhaltiger: Wenn man sie pflege, könne sie 250 Jahre funktionieren - bei einer „digitalen Orgel“ müssten Lautsprecher und andere Technik viel öfter ausgewechselt werden.

Im Rahmen des Digitalisierungsprojekts "Singen - Orgel 4.0"wurde eine Software entwickelt, die es erlaubt, vom Laptop aus die Orgel anzusteuern und spielen zu lassen, weil die Orgel mit einem Magnetsystem ausgestattet ist, das die Steuerung der Register und den Anschlag der Tasten übernehmen kann.

Das Ziel sei, die Pfeifenorgel zu erhalten und digitale Ergänzungsmöglichkeiten zu gestalten. Ende September hat Ammer zur „1. Nagolder Orgelakademie“ eingeladen, in der sich Orgelbauer, Theologen und Kirchenmusiker aus dem ganzen Bundesgebiet über Digitalität im Pfeifenorgelbau austauschen.

Ihm sei klar, dass nicht alle technischen Möglichkeiten unumstritten seien, betont Ammer. Manche Organisten hätten Angst, in Zukunft durch eine Maschine ersetzt zu werden, Orgelbauer befürchteten, dass durch digitale Orgeln langsam, aber stetig ihr Berufszweig ausstirbt. „Umso wichtiger ist es“, sagt Ammer, „dass man darüber diskutiert und Entwicklungen gemeinsam gestaltet und sie nicht sich selbst überlässt.“