Die 15. Episode ist daher umso interessanter, denn in "Die letzte Rettung" ist die Heldin so verletzlich wie noch kein Mal zuvor. Mathias Schnelting beginnt sein achtes Buch für die ZDF-Reihe mit einem Ereignis, das selbst eine hartgesottene Polizistin vorübergehend aus der Bahn wirft: Ein Kollege hat sich in seinem Haus verschanzt. Der Mann hat kürzlich seine Frau verloren und ist hoch verschuldet. Als ausgerechnet jetzt ein Gerichtsvollzieher aufgetaucht ist, sind offenbar einige Sicherungen durchgebrannt; er erschießt sich vor Dorns Augen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Auftakt scheint zunächst nur den Zweck zu haben, die Heldin ihrer sicheren Basis zu berauben. Sie ist zwar gewohnt, solche Dinge mit sich selbst zu klären, aber auch das braucht Zeit, und die ist ihr nicht vergönnt, denn der eigentliche Fall konfrontiert sie mit einem lange zurückliegenden Trauma. Geschickt führen Schnelting und Regisseur Friedemann Fromm – "Die letzte Rettung" ist seine erste Arbeit für die Reihe – bereits während des Prologs die eigentliche Handlung ein, als Taxifahrerin Maria (Lo Rivera) ihre krebskranke Schwester in einer Hamburger Klinik besucht. Kurz drauf entpuppt sich ein weiblicher Fahrgast als Medizinstudentin Valerie (Amelie Hennig), die ihr Praktikum auf der Krebsstation macht und nach Feierabend als Escortdame unterwegs ist. Vor Valeries Apartmenthaus lungert ein zwielichtiger Typ rum. Sie lässt sich zum Hintereingang bringen, deponiert aber vorher einen USB-Stick in Marias Taxi. Am nächsten Tag wird ihre Leiche gefunden; Maria entdeckt auf dem Stick Dokumente, die Hinweise auf tödliche Vorgänge in der Onkologie werfen. Der Typ vor dem Haus entpuppt sich als der Oberarzt der Abteilung: Dr. Boll (Sebastian Rudolph) hatte offenbar ein Auge auf die Studentin geworfen, und das auch in perfider digitaler Hinsicht. Dass Dorn den Boden unter den Füßen verliert, hat jedoch mit dem Tod ihrer Mutter zu tun.
Auch dank des ausgezeichneten Drehbuchs ist Fromm eine äußerst reizvolle Kombination aus Thriller und Psychogramm gelungen. Die sehr präsente Musik (Edward Harris) setzt immer wieder Spannungsakzente, die Handlung ist ohnehin interessant, die Inszenierung ist auch dank einer ungemein sorgfältigen Bildgestaltung (Ralf Noack) jederzeit fesselnd; und doch lebt "Die letzte Rettung" vor allem von der Kombination aus Krimi-Elementen und emotionalen Momenten. Dieser Kontrast hat zur Folge, dass eine ausführliche Vater/Tochter-Szene zum Herzstück des Films wird, als Vater Dorn (Ernst Stötzner), pensionierter Polizist und ein ähnlich großer Schweiger wie Helen, vom Tod seiner Frau erzählt; sie starb wenige Monate nach Helens Geburt. Die ohnehin sehr gefühlvolle Stimmung wird noch intensiver, als Richard Dorn ihr Lieblingslied spielt, "The First Time Ever I Saw Your Face" in der ungemein melancholischen Version von Johnny Cash; am Ende genügt die Melodie, um die Wehmut dieser Szene zu wecken.
Auf der anderen Seite erfreut der Film durch seltene, aber dadurch umso witzigere Momente, und für die sorgt Tristan Seith quasi im Alleingang; es ist eine wahre Freude, wie es ihm regelmäßig gelingt, als KTU-Koryphäe und Gute-Laune-Bär aus kleinen Augenblicken große Humoresken zu machen. Weyers immer noch unausgelebte Liebelei mit der nicht minder beschlagenen Kollegin Isabella Aligheri (Nagmeh Aleai) aus der Rechtsmedizin bereichert den Krimi zudem um eine zwar bescheidene, aber sehr sympathische romantische Ebene. Sehenswert ist "Die letzte Rettung" dennoch vor allem wegen Fromms Inszenierung. Der Regisseur gehört hierzulande zu den besten seines Fachs und ist vielfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit Grimme-Preisen für eine Episode der ZDF-Krimireihe "Unter Verdacht" (2003), den Mehrteiler "Die Wölfe" (2010, ZDF) sowie die ARD-Serie "Weissensee" (2016). Zuletzt hat er ebenfalls fürs "Zweite" die Miniserie "Unter Freunden" (2021, ebenfalls mit Noack hinter der Kamera) gedreht. Bei seiner "Helen Dorn"-Premiere erweist er sich einmal mehr als herausragend guter Schauspielerregisseur. Davon profitiert unter anderem Frida-Lovisa Hamann als Ärztin auf der Krebsstation, die sich nicht daran gewöhnen will, dass Patientinnen und Patienten sterben.