In einigen seiner besten Filme hat Regisseur Stefan Krohmer seine Figuren auf engstem Raum zusammengepfercht und sie dann aufeinander losgelassen. Es wird kein Zufall sein, dass die personellen Konstellationen der jeweils mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Dramen "Ende der Saison" und "Familienkreise" (2001/2003) oder zuletzt unter anderem "Die Zeit mit euch" (2014) im Grunde wie Adaptionen des Sartre-Dramas "Geschlossene Gesellschaft" wirkten: die Hölle, das sind die anderen. Krohmers jüngstes Werk, das ausnahmsweise mal nicht auf einem Drehbuch von Daniel Nocke beruht, handelt ebenfalls von Menschen, die sich nicht nur bildlich gesprochen gegenseitig an die Gurgel gehen. Diesmal kommt der Sartre-Bezug schon im Titel zum Ausdruck: "Zur Hölle mit den anderen". Das Drehbuch stammt von Nicole Armbruster, die den Tonfall der Nocke/Krohmer-Filme perfekt trifft, zumal die Darbietungen des ohne Ausnahme ausgezeichneten Ensembles im besten Sinne improvisiert wirken: weil die verbalen Auseinandersetzungen nicht an ein vielfach geprobtes Theaterstück, sondern ans echte Leben erinnern.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Film beginnt wie viele Arbeiten Krohmers ganz harmlos: Die früheren Freundinnen Katrin (Britta Hammelstein) und Sandra (Mira Bartuschek) sind sich nach neun Jahren zufällig begegnet und haben sich spontan zum Grillen verabredet. Schon in die Begrüßung mischen sich allerdings erste Irritationen, die sich im Verlauf des Abends zu handfesten Feindseligkeiten auswachsen. Die beiden Frauen haben gemeinsam studiert, Sandra hatte das beste Examen von allen, und Katrin wundert sich, dass die einst für ihren Ehrgeiz bekannte Kommilitonin nun offenbar ganz in ihrer Aufgabe als Ehefrau und Mutter aufgeht; ihr Mann Erik (Holger Stockhaus) hat das florierende Unternehmen seines Schwiegervaters übernommen, das Paar lebt in einem großzügigen Einfamilienhaus samt großem Garten und Swimmingpool. Bei Katrin und ihrem Lebensgefährten Steffen (Felix Knoop), einem Journalisten, ist es genau andersrum: Sie ist die Ernährerin der Familie, er kümmert sich um die kleine Tochter, seit eine von ihm herausgegebe Zeitschrift gescheitert ist. Die beiden Männer entpuppen sich als ebenso unterschiedlich wie die der Frauen: Eriks Firma stellt Holzschutzmittel her und hat ständig Ärger mit "Ökoterroristen", Steffen engagiert sich im Umweltschutz; als Erik einen Haufen Fleisch auf dem Grill verteilt, stellt sich außerdem raus, dass Steffen Vegetarier ist.
Die diametralen Lebensentwürfe sorgen für eine Menge Gesprächsstoff, der allerdings auf subtile Weise vergiftet ist: Keiner aus dem Quartett führt das Dasein, von dem er einst geträumt hat. Erik wäre lieber Architekt geworden, Katrin hat heimlich Bewerbungen verschickt, Steffen fühlt sich von Sandra verkannt, und die erfährt im Verlauf des Abends, dass sie ihr prestigeträchtiges aktuelles Projekt verliert. Die verstohlenen Seitenblicke der Frauen verraten früh, dass sich hier ein sehr ungesunder Wettbewerb entwickelt, bei dem es nur Verlierer geben kann. Prompt ergehen sich die beiden Paare, sobald sie unter sich sind, in Lästereien über die anderen. Einige der Anlässe sind durchaus nachvollziehbar: Mit einer Mischung aus Verblüffung und Schockiertheit nimmt Katrin zur Kenntnis, dass Sandra ihren vierjährigen Sohn Frederik stillt, während sie über das Kriegspotenzial von Religionen doziert. Erziehungsfragen sind ja ohnehin ein beliebtes Reizmittel, zumal Sandra irgendwann feststellt, dass das Verhalten der Kinder beredten Aufschluss über die Beziehung der Eltern gebe; ein typischer Fall von Glashaus, schließlich hat Frederik der kleine eindeutig ein gestörtes Verhältnis zu seinem Vater. Zuvor hatte sich das Paar über Fatme, die dickliche Tochter von Katrin und Steffen, lustig gemacht ("fette Fatme"), ohne zu merken, dass das Mädchen hinter ihnen stand. Situationen wie diese, in denen Krohmer zum Fremdschämen einlädt, gibt es eine ganze Menge. Dazu gehören auch die peinlichen Wettkämpfe, zu denen Erik Steffen mehrfach auffordert. Der in jeder Hinsicht breitbeinige Gastgeber neigt zudem zu makabren Scherzen, die unter anderem Sandras Muttermilch betreffen, was zur Folge hat, dass Steffen seinen Kaffee auf ihre Bluse prustet. Sandra bleibt dem Gatten allerdings nichts schuldig. Aus beiläufigen Seitenhieben werden schließlich schmerzhafte Tiefschläge; am Ende führen die alkoholgeschwängerten Feindseligkeiten zu einem regelrechten Kriegszustand.
Trotz des immer böseren Verlaufs, den der Abend nimmt, behält Krohmer seinen Status als amüsierter Beobachter bei; dank Jürgen Carles beweglicher Kameraführung ist der Zuschauer als Zaungast mitten unter den beiden Paaren. Als Kapiteltrenner dieser ausgesprochen kurzweiligen Tragikomödie fungieren die mehrfachen Auf- und Ausbruchsversuche des Besuchs, aber aus unterschiedlichsten Gründen sehen sich Katrin und Steffen immer wieder zum Bleiben genötigt, unter anderem, weil sie Sandras Geschenk für Fatme vergessen haben; dabei ist die quasi lebensgroße Plastikküche der pinkfarbene Albtraum jeder Feministin.