"Wer zögert, ist tot" klingt wie "Wer bremst, hat Angst" und daher wie ein Machospruch. Hinter einem Krimi dieses Titels könnte zum Beispiel ein Film über eine SEK-Einheit stecken. Tatsächlich stammt die Devise von einer Frau, die Selbstverteidigungskurse für Frauen und Kinder gibt. Das unausgesprochene Motto ihres Studios lautet "Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt", denn darum geht es in diesem "Tatort" aus Frankfurt: Auf der einen Seite sind die, die zu viel zu haben, auf der anderen Seite jene, die zu kurz kommen. Oder auch: "Friede den Hütten, Krieg den Palästen". Von diesen Sponti-Sprüchen fällt zwar kein einziger, aber Petra Lüschow (Jahrgang 1966) kennt sie natürlich, zumal sie schon ihr kurzweiliges Regiedebüt "Petting statt Pershing" (2018) nach einer typischen Aufkleberparole benannt hat; die unterhaltsame Komödie spielte in den frühen Achtzigern. Die Lust am Widerstand jener Jahre prägt auch ihre erste "Tatort"-Regie; als Autorin hat sie bereits den sehenswerten Luzerner Fasnachts-"Tatort" "Schmutziger Donnerstag" geschrieben. Frühere Drehbücher waren die Romanadaption "Tannöd" (2009) sowie vor allem das Landwirtschafts- und Einwanderungsdrama "Sieh zu, dass du Land gewinnst" (2007).
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Wer zögert, ist tot" ist im Auftrag des Hessischen Rundfunks entstanden. Die Fernsehfilmredaktion des HR setzt mit ihren ARD-Beiträgen gern besondere Duftmarken, und das gilt auch diesmal, zumal Lüschow (Buch und Regie) den Stoff nicht schrecklich ernst nimmt: Nervenkitzel hat der Film nicht zu bieten, aber dafür interessante Figuren. Die Handlung beginnt auf einem Golfplatz: Frederick Seibold (Helgi Schmid), ein junger Mann mit ständig neuen großen Plänen, aber wenig Erfolg, erfährt vom Anwalt seines Vaters, dass er bei seinem jüngsten Projekt keine Unterstützung erwarten darf. Während er sich noch ärgert, dass Seibold senior (Bernhard Schütz), Hausjurist eines großen Immobilienkonzerns, die Nachricht nicht persönlich überbracht hat, wird er von vier Gestalten mit Hundemasken entführt. Eine stürzt dabei so unglücklich, dass es fortan nur noch drei sind. Die Polizei kommt ins Spiel, weil Fredericks Ex-Freundin Bille (Britta Hammelstein), Mutter der beiden gemeinsamen Kinder, mit der Post einen abgeschnittenen Finger bekommen hat.
Ein Besuch von Janneke und Brix (Margarita Broich, Wolfram Koch) beim Vater ist ernüchternd: Der Alte ist überzeugt, dass Frederick selbst hinter der Sache steckt, und sieht daher gar nicht ein, warum er die geforderten vier Millionen Euro Lösegeld zahlen sollte. Seibold senior hat zwar ebenfalls einen Finger bekommen, aber in der Tat stellt sich raus, dass beide von einem im Krankenhaus verstorbenen Patienten stammen. Eine Spur führt ins Selbstverteidigungsstudio von Conny Kaiserling (Christina Große), die ihre Kundinnen auffordert, ihre Beißhemmung zu überwinden; aber weiter kommt das Ermittlerduo nicht. Also hat Brix die Idee, seine Freundin und Mitbewohnerin Fanny (Zazie de Paris) dort als "Undercover"-Ermittlerin einzusetzen; das ist zwar unkonventionell, zahlt sich aber aus.
Weil Lüschow exakt zur Hälfte des Films verrät, wer hinter der Entführung steckt, resultiert die Spannung fortan im Grunde nur noch aus dem Rätsel, wer die vierte Person in dem zum Trio dezimierten Quartett ist. Der Begriff "Spannung" weckt in diesem Zusammenhang allerdings falsche Erwartungen, denn Lüschow hat den Film ausgesprochen entspannt inszeniert; Krimifans werden von der Enttarnung zudem nicht sonderlich überrascht sein. Offen bleibt allerdings lange die Frage, ob und wie alle Beteiligten heil aus der Sache rauskommen, denn irgendwann gelingt es Frederick, den Spieß umzudrehen. Seinen Reiz bezieht "Wer zögert, ist tot" dennoch in erster Linie aus dem Entwurf der Figuren, den mitunter amüsant skurrilen Dialogen sowie kleinen Begebenheiten am Rande; sehr clever gemacht ist zum Beispiel ein Werbevideo für das Studio. Außerdem gibt es einige Verbalscharmützel zwischen Seibold senior und einer Nachbarin (Corinna Kirchhoff), weil Seibolds Kater Caligula dem Nachbarhund offenbar regelmäßig das Fressen streitig macht. Das Tier revanchiert sich, indem es sich aus dem vom Postboten vor der Haustür abgelegten Päckchen einen weiteren Finger stibitzt; und der gehört diesmal tatsächlich Frederick. Das letzte Wort hat trotzdem Caligula, allerdings erst nach dem Abspann. Akustische Akzente setzt auch die ungewöhnliche Musik (Moritz Krämer, Patrick Reising, Francesco Wilking) mit ihren jazzigen Miles-Davis-Anklängen.