Neben der abwechslungsreichen Handlung imponiert Erik Schmitts erster Langfilm vor allem durch die Bilder: Die optische Gestaltung ist furios. Schon der Prolog hat mehr zu bieten als andere Arbeiten in neunzig Minuten: Die Geschichte beginnt mit einer Stadtführung, in deren Verlauf ein Historiker (Folke Renken), der gegen Ende noch eine spezielle Rolle spielen wird, Daten und Fakten an immer wieder anderen bekannten Berliner Plätzen zum Besten gibt, wobei die rasanten Ortswechsel oft mitten im Satz erfolgen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Besondere an Berlin, sagt der Mann, sei die Magie: Die Stadt habe eine Seele, mit der ausgewählte Personen in Verbindung stünden. Dann folgt eine Reise durch die achthundertjährige Stadthistorie im Zeitraffer. Sie endet am 9. November 1989: Mitten in den Wirren der Grenzöffnung stirbt eine Mutter bei der Geburt ihrer Tochter. Zehn Jahre später erfährt Cleo (Gwendolyn Göbel) von der Existenz einer magischen Uhr, mit der sich die Zeit zurückdrehen lässt; umgehend macht sie sich gemeinsam mit ihrem Vater (Fabian Busch) auf die Suche. Weil sie dabei auf eine Weltkriegsbombe stoßen, ist Cleo nun Vollwaise; und damit endet der Prolog. In der Gegenwart ist aus dem Mädchen eine junge Frau (Marleen Lohse) geworden, die gewisse Vorkehrungen getroffen hat, um nie wieder verletzt zu werden. Erst die Begegnung mit dem Abenteurer Paul (Jeremy Mockridge) holt sie aus ihrem Schneckenhaus: Paul ist im Besitz einer Karte, die den Weg zum legendären Schatz der Gebrüder Sass weist; die Beute aus einem spektakulären Bankraub soll auch die magische Uhr enthalten. Nun beginnt eine Schnitzeljagd quer durch die Berlin, an deren Ende Cleo sich der Frage stellen muss, ob sie wirklich bereit ist, die Gegenwart der Vergangenheit zu opfern.
Schmitt offenbart mit seinem Langfilmdebüt eine visuelle Wucht, die ihn zumindest vom Potenzial her auf eine Stufe mit Bilderzauberern wie Terry Gilliam ("Brazil") katapultiert. Kameramann Johannes Louis hat Berlin in ein magisches Licht getaucht, das außerdem die wilden roten Locken von Marleen Lohse perfekt zur Geltung bringt; "Cleo" ist mindestens so sehr eine Liebeserklärung an die Hauptstadt wie auch an die Hauptdarstellerin, die bereits in einigen von Schmitts zum Teil mehrfach preisgekrönten Kurzfilmen mitgewirkt hat. Beeindruckend souverän und spielerisch leicht jongliert der Regisseur, der das Drehbuch gemeinsam mit Stefanie Ren geschrieben hat, mit Legenden und Wahrheiten der Stadtgeschichte: Wer weiß schon, dass sich unter dem Teufelsberg, jenem gigantischen Trümmerhaufen im Westen der Stadt, die Überreste des Rohbaus einer Wehrtechnischen Fakultät aus der NS-Zeit verbergen? Hier findet auch das fesselnde Finale statt, bei dem sich Cleo ihren Urängsten stellen muss.
Seinen außergewöhnlichen Reiz bezieht der Film jedoch aus den Elementen, die Schmitt nachträglich hinzugefügt hat. Cleo hat entweder eine blühende Fantasie oder in der Tat eine besondere Gabe, jedenfalls hat sie als Kind regelmäßig Begegnungen mit Koryphäen aus Wissenschaft und Forschung, die Schmitt als schemenhafte Schwarzweißfiguren integriert; Albert Einstein und Heinrich Schliemann sind es auch, die ihr von der magischen Uhr erzählen. Dass der Regisseur für diese winzigen Auftritte Jean Pütz und Harald Schrott gewinnen konnte, ist ein Beleg für das große Ansehen, das sein Film offenbar bereits als Projekt genossen hat. Faszinierend sind auch viele kleine Gestaltungseinfälle am Rande: Nicht der Plattenteller dreht sich, sondern die Weltdrumherum. Hinzu kommen diverse Cartoons und Animationen, die die Bilder ergänzen: Als Cleo sich vornimmt, den Lärm der Großstadt zu ignorieren, erscheint an einer Wand ein riesiger On/Off-Schalter.
Andere Ideen dienen dazu, die Handlung voranzutreiben: "Folge den Pfeilen", haben Einstein und Max Planck (Peter Meinhardt) ihr geraten, und so sieht sie plötzlich überall pfeilartige Gegenstände – hier ein Ast, dort ein Uhrzeiger, schließlich ein Flugzeug –, die ihr die Richtung weisen, bis sie schließlich auf Paul stößt. Ähnlich liebevoll wie die sehr aufwändig wirkende Bildgestaltung ist auch die Ausstattung (Claudia Steinert), sodass es in praktisch jeder Szene was zu entdecken gibt. Angesichts all’ der Fulminanz stört es nicht mal, dass die von Heiko Pinkowski und Max Mauff verkörperten Panzerknacker, die Cleo und Paul bei der Suche nach dem Sass-Schatz unterstützen, recht klischeehaft ausgefallen sind.