Als Daniel Dettling 2016 mit seiner Familie das Pfarrhaus der evangelischen Kirchengemeinde Langenalb-Marxzell im Nordschwarzwald bezog, hieß es erst einmal: ausmisten. Die Holzteile auf dem Dachboden habe er zunächst nicht einordnen können, berichtet der Pfarrer. Licht ins Dunkel brachte der Orgelsachverständige der Evangelischen Landeskirche Baden, Martin Kares. Der Gutachter stellte schnell fest, dass es sich bei den Holzteilen um fast die komplette Orgel des Orgelbauers Christoph-Ludwig Goll aus Kirchheim unter Teck aus dem Jahr 1860 handelte. Diese Orgel aus der Langenalber Marienkirche galt über viele Jahrzehnte als verschollen.
"Es gab das Phänomen des kollektiven Vergessens", berichtet Dettling. Beim Ausräumen der wiedergefundenen Orgelteile sei einigen Dorfbewohnern aber doch in Erinnerung gekommen, dass sie selbst in den 1970-er Jahren Orgelteile auf den Dachboden des Pfarrhauses getragen hatten, sagte Dettling. Die Marienkirche war 1974 grundlegend renoviert worden.
Alte Orgel begeistert das halbe Dorf
Plötzlich begeisterte sich das halbe Dorf für die alte Orgel. Was 1974 im Zuge der Modernisierung der Marienkirche achtlos beiseite geschafft worden sei, wirkte jetzt identitätsstiftend, stellte Dettling fest. "Gerade Ältere vermissen die alte Kirche mit der rundlaufenden Empore, der alten Orgel, der alten Sakristei aus der Zeit vor der Renovierung", beobachtete der Pfarrer.
"Sie hatte schon einen guten Ton", erinnert sich etwa Walter Weidner vom Kirchengemeinderat. Wie der 77-Jährige verbinden viele Einwohner von Straubenhardt-Langenalb persönliche Momente mit der Goll-Orgel: Taufen von Kindern und Enkelkindern, Konfirmationen, Hochzeiten, Trauerfeiern.
Tote Ratte im Windkanal
In akribischer Kleinstarbeit setzt der Orgelbauer Wolfram Stützle seit Mai Teil für Teil der Orgel wieder zusammen. In seiner Werkstatt in Waldkirch bei Freiburg hatte der Spezialist Schäden am Holz beseitigt. Hitze im Sommer und Frost im Winter hatten den empfindlichen Teilen zugesetzt. "Wir haben im Windkanal eines Pedals sogar eine vertrocknete Ratte gefunden", berichtet Wolfram Stückle von Überraschungen bei der Arbeit an der Orgel.
"Beim Ton bin ich zuversichtlich", sagt der Orgelbauer. Die großen Metallpfeifen fielen zwar - anders als die Holzteile - tatsächlich einem Diebstahl zum Opfer und waren nicht wieder zu finden. Sie nachzubauen sei weniger schwierig als Kleinteile wieder herzustellen, sagt Wolfram Stützle. "1860 gab es noch kein Metermaß", erklärt er die Schwierigkeiten bei der Restauration einer historischen Orgel.
Instrument aus Umbruchszeiten
Vergleichsmodelle für die älteste und größte noch erhaltene Goll-Orgel gibt es wenige. "Wir wissen von einer in Langenau bei Ulm und einer bei Calw, die ist allerdings schon modernisiert", sagt Stützle. Die Langenalber Orgel gilt als eine Besonderheit, weil sie aus einer Zeit des Umbruchs stammt. Zuvor habe man Barockorgeln gespielt, danach ging der Trend zu Romantikorgeln, erklärt der Orgelkenner.
Die Kosten für die Restauration tragen das Landesdenkmalamt, die Bundesregierung sowie der örtliche Orgelförderverein. Dieses Jahr ist zudem das "Jahr der Orgel" und Orgeln sind mittlerweile Weltkulturerbe. "Die Gemeinde und die Bevölkerung stehen komplett dahinter", sagt der stellvertretende Vorsitzende des Orgelfördervereins, Reinhard Schulz, mit Blick auf die Spendenbereitschaft.
Rund 300.000 Euro, sagt Wolfram Stützle, müsste man für die über fünf Meter hohe Orgel heute bezahlen. "Aber dann", so der Orgelbauer, "hätte man eine neue". Die historische Orgel aber hat einen unschätzbaren Wert. Die Organistin Bärbel Schulz freut sich jetzt schon darauf "auf so einer historischen Orgel" einmal spielen zu dürfen. Vor allem romantische Stücke "klingen bestimmt sehr schön darauf", mutmaßt Bärbel Schulz.