Der Handlungsrahmen ist alltäglich: Weil Yoga-Lehrerin Nina (Lavinia Wilson) keinen Kita-Platz für ihr zweites Kind bekommt, beschließt sie, mit Gleichgesinnten in Köln-Nippes eine eigene Einrichtung zu eröffnen. Räumlichkeiten sind bald gefunden, aber dann zeigt sich, dass es gar nicht so einfach ist, die unterschiedlichen Vorstellungen der Beteiligten unter einen Hut zu bringen, zumal einige noch nicht mal Eltern sind. Der schwule Schauspieler Malte (Daniel Zillmann) zum Beispiel ist noch auf der Suche nach einer (Leih-)Mutter für seine Kinder. Das Ehepaar Lars und Anita (Sebastian Schwarz, Nadja Becker), er Anwalt, sie Lehrerin, hat sich zwar bereits gefunden, scheitert aber schon seit geraumer Zeit an dem Versuch, sich fortzupflanzen. Ebenfalls aus dem Rahmen fällt Musikproduzentin Nike (Henny Reents), Maltes Schwester, und das nicht nur als Raucherin; ihre Neigung zu pragmatischen Lösungen deckt sich nur bedingt mit der ganzheitlichen Philosophie von Nina. Zu TV-Ehren kommt die Initiative, weil Ninas Mutter Ini (Johanna Gastdorf) Filmemacherin ist. Sie will dem Phänomen der Helikoptereltern auf den Grund gehen und erscheint genau zur richtigen Zeit, um die Gründungsphase zu dokumentieren.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Andere Eltern" erinnert an die Dokusoap-Parodie "Diese Kaminskis – Wir legen Sie tiefer!" (ZDF Neo 2014). Der Ansatz von Lutz Heineking jr. ("Das Institut – Oase des Scheiterns") und seinem Autorenteam ist jedoch ein anderer. Die ironische Haltung gilt nicht der Machart, denn die wirkt wie eine Doku-Soap, die mit Mitteln des Dokumentarfilms arbeitet. Dazu passt auch der gelegentlich süffisante Kommentar, wenn sich Ini unter anderem fragt, wie Köln heute wohl aussähe, wenn die Trümmerfrauen von gleichem Schlag gewesen wären wie ihre Tochter. Später zeigt sich, dass die Dokumentation so etwas wie das Vermächtnis der Filmemacherin wird. Auch das eigentliche Thema ihrer Arbeit kristallisiert sich erst nach und nach heraus: In Grunde geht es in "Andere Eltern" um die Zerrissenheit des modernen Individuums; und das gilt nicht für den Zwiespalt zwischen einem Bekenntnis zum ganzheitlichen Leben und der Lust auf ein deftiges McDonald’s-Menü.
Ähnlich realitätsnah sind die Charaktere. Der satirische Effekt entsteht durch die Ballung dieser Figuren, die es auch im wahren Leben gibt: Nina will zwar nur das Beste für die Kita, macht ihre eigenen Maßstäbe jedoch gern zum kategorischen Imperativ und entwickelt auf diese Weise sehr unsympathische autokratische Züge. Björn (Serkan Kaya) ist Hausmann und ständig im Rechtfertigungsmodus, damit sein Dasein nicht als verkappte Arbeitslosigkeit erscheint. Die meisten Reibungspunkte setzt jedoch Lars, der in diesem Rahmen noch am ehesten komödiantisch wirkt und dank Sebastian Schwarz’ pointierten Spiels neben Nina zur interessantesten Figur wird: weil sich hinter seinem gönnerhaften Auftreten reaktionäre Abgründe auftun. Der Mann hat nicht nur ein überholtes Rollenverständnis, er ist auch xenophob und homophob, allerdings auf eine Weise, die harmlos klingen soll, weil er seine Einstellungen gern als witzig gemeinte Bemerkungen verpackt. Auf diese Weise entlarven Heineking und seine Mitstreiter als Rassismus und Ignoranz, was im Alltag flapsig oder bloß gedankenlos daherkommt.
Auch das für viele Zuschauer vermutlich absurde Helikopterverhalten ist dem Leben abgeschaut: Bevor Björn seine Kinder auf den Spielplatz lässt, testet er erst mal alle Spielgeräte. Nina, erklärte Impfgegnerin, besucht mit ihren Kindern eine Masernparty, nicht ahnend, dass Ehemann Jannos (Jasin Challah) die beiden heimlich hat impfen lassen. Ähnlich funktioniert die Elterngemeinschaft: Sämtliche Ereignisse sind völlig realistisch; der heitere Effekt ergibt sich durch die irrwitzig anmutende Häufung. Für Abwechslung sorgen regelmäßige Exkurse, etwa die Besuche von Lars und Anita bei einer Paartherapeutin. Schräg sind auch Maltes Begegnungen mit den potenziellen Müttern seiner Kinder. Am Ende wird er in der Tat Vater und Anita endlich schwanger; die Koinzidenz ist kein Zufall. Anderswo ist man sich zwischenzeitlich ebenfalls nähergekommen. Nina regt sich zwar furchtbar darüber auf, dass Jannos vor zwanzig Jahren und somit lange vor der Ehe eine Affäre mit Nike hatte, aber sie hütet ebenfalls ein pikantes Geheimnis.
Gelegentliche Gäste sorgen dafür, dass etwas Bewegung in die Gruppendynamik der Eltern kommt, selbst wenn deren Debattenthemen, etwa die Gender-Frage, viel Stoff für bizarre Diskussionen bietet. Personifizierte Realsatire ist beispielsweise Franz, der Schamane (Gerhard Liebmann), der die Kita-Räume spirituell reinigen soll; alles zwar nur Schall und vor allem Rauch, aber der sorgt dafür, dass die Sprinkleranlage die Renovierungsarbeiten zunichte macht. Das ist zwar witzig, doch am stärksten ist die Serie immer dann, wenn die Eltern in den Einzelinterviews kräftig über einander herziehen. Sollten sich die Mitwirkenden das alles spontan ausgedacht haben, was sie da zum Besten geben, gebührt ihnen doppelter Respekt. Die zermürbenden Stuhlkreiserlebnisse wiederum werden sie womöglich aus eigener Erfahrung kennen: Die Gespräche sind genauso zäh und fruchtlos wie viele Elternabende. Neo zeigt die ersten beiden Episoden ab 23.15 Uhr und ab 1.45 Uhr die komplette Staffel, die ab morgen auch in der Mediathek steht. Ab Donnerstag kann dort auch die zweite Staffel abgerufen werden.