Der Filmtitel scheint nahe zu legen, dass die Zuneigung nicht auf Gegenseitigkeit beruht, doch "Liebe war es nie" bezieht sich auf das Lied, dass Helena Citron als Ständchen zum Geburtstag des Lagerkommandanten vorgetragen hat; es war das einzige deutsche Lied, das die Slowakin kannte.
Was wie eine filmreife Geschichte klingt, entpuppt sich als Romanze mit ganz erheblichen Schattenseiten, denn der Österreicher Franz Wunsch war kein "guter Nazi". Mehrere Zeitzeuginnen beschreiben den SS-Mann in Maya Sarfatys Dokumentarfilm als äußerst brutal. Zunächst hat es den Anschein, als habe sich seine Gewalt bevorzugt gegen Männer gerichtet, eine Frau bezeichnet ihn gar als "hochanständig"; aber dann erzählt eine andere, wie er ihr mit einem gezielten Stiefeltritt die Hüfte zertrümmert habe. Der schönen Helena konnte er dagegen offenbar keinen Wunsch abschlagen. Dank ihrer Initiative haben mehrere Frauen das Konzentrationslager überlebt, darunter auch ihre ältere Schwester Roza; nicht jedoch deren Kinder. Nach dem Krieg hat Wunsch lange vergeblich versucht, Kontakt zu seiner früheren Geliebten aufzunehmen. Erst dreißig Jahre nach der ersten Begegnung trafen sie wieder aufeinander: 1972 musste sich der SS-Mann in Wien für seine Verbrechen vor Gericht verantworten; seine Frau bat Helena, zu seinen Gunsten auszusagen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Sarfaty war noch ein Kind, als sie zum ersten Mal von dieser Beziehung hörte, über die Helena Citron später unter Verwendung einer Zeile aus dem Titellied sagte: "Liebe war es nie, nur eine kleine Liebelei". Die für ihre dokumentarischen Arbeiten mehrfach ausgezeichnete israelische Autorin und Regisseurin wollte diese Romanze unbedingt erzählen, wusste aber nicht, wie. Mehrere Jahre lang hat sie nach einer Antwort auf die Frage gesucht, wie sie den beteiligten Personen eine Bühne bieten konnte; der Film, eine israelisch-österreiche Koproduktion mit dem SWR, sollte schließlich nicht nur aus Interviews bestehen. Die Lösung verdankt Sarfaty zumindest indirekt ausgerechnet Wunsch, und sie ist ähnlich ungewöhnlich wie die Liebesgeschichte, denn der SS-Mann hatte ein eigenwilliges Hobby: Er träumte sich und seine Geliebte mit Hilfe von Fotomontagen aus dem Lager heraus, indem er seinen und Helenas Kopf auf andere Bilder klebte, die zum Beispiel ein Paar am Strand zeigten. Sarfaty bedient sich der gleichen Methode, die sie zudem transparent macht, indem sie die Entstehung der Collagen dokumentiert. Das Ergebnis ist überraschend reizvoll: Die Fotos wirken wie auf Sperrholz aufgeklebt und verleihen den Aufnahmen einen verblüffenden dreidimensionalen Effekt. Beim Prozess gegen den SS-Mann wird die Bühne sogar buchstäblich Wirklichkeit: Sarfaty illustriert Helenas Aussage, indem sie die Erinnerungsfiguren auf ein Podest vor den Richtertisch platziert.
Von der originellen Gestaltung abgesehen ist "Liebe war es nie" optisch jedoch völlig frei von Überraschungen; die vielen Interviewausschnitte lassen das Werk wie eine TV-Dokumentation wirken. Sein Wert liegt daher vor allem in den Erinnerungen. Die Zeitzeuginnen – einige Interviews hat die Filmemacherin selbst geführt, andere stammen aus dem Archiv der Shoah Foundation – gehörten wie Helena zu den ersten tausend Frauen, die nach Auschwitz gekommen sind. Ihre Schilderungen der grausamen Aufnahmerituale bilden einen bizarren Kontrast zu den guten Taten des SS-Mannes; Helena erzählt, wie sie "zu Tieren" wurden, um zu überleben. Nach zehn Monaten wurde sie in ein "Effektenlager" verlegt, wo die Häftlinge die Habseligkeiten der Opfer sortierten. Auf diese Weise kamen die Frauen, die sich selbst Jahrzehnte später noch zum Teil ausgesprochen böse über Helena äußern ("jüdische Hure"), nicht nur an wärmende Unterwäsche; in den Koffern fanden sich auch Lebensmittel.
Wunsch selbst kommt ebenfalls zu Wort, und das nicht nur wegen seiner vorgelesenen Tagebucheintragungen: Seine Tochter hat 2003 ein Gespräch mit ihm über die Zeit im KZ geführt und den Vater dabei gefilmt. Helena Citron, auch im höheren Alter noch eine eindrucksvolle Frau, ist unter anderem gemeinsam mit Roza in Ausschnitten aus einer Sendung des israelischen Fernsehens zu sehen. Die ältere Schwester hat der jüngeren nie verziehen, dass sie ihr lange nicht die Wahrheit über das Schicksal ihrer Kinder gesagt hat. "Liebe war es nie" war im letzten Jahr Israels Einreichung für die "Oscar"-Kategorie "Bester Internationaler Film".