Bildsprachlich ist das denkbar sparsam: Die Männer, darunter der ehemalige Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert, sitzen in einem mit silbrigem Vorhangstoff dekorierten Raum wie auf einer Bühne und äußern sich zu den Themen Männlichkeit, Sex, Väter, Liebe, Feminismus und Körper.
Über die Hintergründe und Entstehungsbedingungen verraten die Filme nichts. Die meisten Männer dürften etwa im Alter von Sonvilla und Wesemann sein, also grob gesagt um die dreißig. Die Auswahl ist zwar divers, was Hautfarbe und sexuelle Ausrichtung angeht, aber Alte und Junge sind nicht dabei. Hin und wieder fällt mal eine beiläufig eingestreute Bemerkung über den Beruf, doch ansonsten gibt es keinerlei Angaben zur Person; gleiches gilt für die Auswahlkriterien. Die Regisseurinnen, die außerdem auch für Kamera, Schnitt und Ton verantwortlich waren, konzentrieren sich voll und ganz auf ihre Gäste. Da sie zwei Kameras benutzt haben, gibt es zwischendurch auch mal einen Perspektivwechsel, und mittendrin erklingt zur Abwechslung Musik, zu der sich die Gäste bewegen, aber ansonsten bietet "Boys" nichts anderes als redende Männer; zum Ausblick auf die nächste Episode kommen immerhin kurz auch die beiden Frauen ins Bild.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Als Neunzigminüter wäre dieses Konzept auf Dauer ermüdend, doch die Filme entwickeln einen ganz eigenen Reiz, weil die Teilnehmer sehr offen über ihre Gefühle und Erfahrungen sprechen. Der Mehrwert der Reihe liegt in den Anregungen, die sie vermittelt, schließlich repräsentieren die Männer eine Generation am Scheideweg: Das traditionelle Rollenbild gilt als antiquiert und für viele womöglich bereits als überwunden, aber ein neues ist noch nicht definiert. Dieser Schwebezustand zeigt sich vor allem in der Väter-Folge, wenn die Gesprächspartner betonen, ihren Kindern ein anderer Vater sein zu wollen.
Für Zuschauerinnen wiederum ist es garantiert interessant, Einblicke in Bereiche zu bekommen, über die Männer nur ungern sprechen, aber für Zuschauer gilt das nicht minder, weil einige der Gesprächspartner einräumen, dass sie über bestimmte Themen mit niemandem reden könnten; auch oder womöglich gerade nicht mit ihren Freunden. Vermutlich hätten einige von ihnen auch anders beantwortet, wenn die Fragen nicht von Frauen, sondern von Männern gestellt worden wären: einerseits, weil beispielsweise der Faktor "soziale Erwünschtheit" vielleicht eine kleinere Rolle gespielt hätte, andererseits, weil sowohl die Befangenheit wie auch die Unbefangenheit bei gewissen Aspekten (unangenehme Erfahrungen beim Sex, Einfluss von Pornografie) eine andere gewesen wäre.
Wie dünn das Eis mitunter wird, zeigt sich nicht zuletzt an der Art des Lachens, mit dem die Frauen einige Fragen begleiten. Die mutmaßliche Unsicherheit ist gut nachzuvollziehen, und zwar auf beiden Seiten: Es gehört schon einiges dazu, wildfremde Menschen aufzufordern, auf die zum Teil sehr intimen Themen einzugehen, und das bezieht sich gar nicht mal so sehr auf sexuelle Details; es ist vor allem die Gefühlsebene, die den Gästen mitunter einen seelischen Striptease abverlangt. Umso respektabler ist wiederum deren Bereitschaft, sich auf das Experiment einzulassen. Apropos: "Boys" ist eine Produktion von Quantum, dem Formatlabor innerhalb der ZDF-Redaktion Das kleine Fernsehspiel. Zu den vielfach ausgezeichneten Quantum-Sendungen zählen unter anderem "Ion Tichy – Raumpilot", "Götter wie wir" und die selbstironische Sitcom "Lerchenberg". Ein Folgeprojekt drängt sich selbstredend regelrecht auf; entsprechende Pläne gibt es laut ZDF allerdings noch nicht. Sonvilla und Wesemann, Absolventinnen der Münchener Filmhochschule, hätten sicher nichts dagegen, auch "Girls" zu übernehmen.