Auch nach über sechzig Jahren bekommen die Fans von Manchester City immer noch glänzende Augen, wenn sie seinen Namen nennen: Bert Trautmann nimmt in der Ruhmeshalle des Clubs einen ganz besonderen Platz ein. Er galt zu seiner Zeit als einer der besten Torhüter der Welt, aber zur Legende wurde er, weil er seinen Kasten im Pokalfinale 1956 trotz enormer Schmerzen im Genick sauber hielt und sein Team zum Sieg führte. Später stellte sich raus, dass ein Halswirbel gebrochen war; ausgerechnet ein Deutscher hatte sein Leben für einen englischen Verein riskiert. Kurz drauf wurde der Triumph jedoch durch eine Tragödie überschattet, als sein kleiner Sohn von einem Auto überfahren wurde.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Eigentlich erstaunlich, dass diese Geschichte noch nicht verfilmt worden ist, zumal das Leben des 2013 verstorbenen Trautmann ein großartiges Beispiel für Völkerverständigung ist: Er kam als Kriegsgefangener 1945 nach England, wurde als Torwarttalent entdeckt, spielte für einen kleinen Verein in der Nähe des Lagers, blieb auf der Insel und wechselte 1949 zu ManCity, was gewaltige Proteste der Anhänger zur Folge hatte; es gab sogar Demonstrationen gegen die Verpflichtung von "Traut the Kraut", dem vermeintlichen Nazi und Kriegsverbrecher. Der Rabbiner von Manchester, von den Nationalsozialisten aus Deutschland vertrieben, appellierte an die Fans, dem Torhüter ohne Vorbehalte zu begegnen. Trautmanns offene Art sowie seine unglaublichen Paraden führten dazu, dass er elf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu Englands Fußballer des Jahres gewählt wurde.
Für Marcus H. Rosenmüller ist das ein durchaus ungewöhnliches Sujet. Bekannteste Arbeit des Oberbayern ist immer noch sein Erstlingswerk, die skurrile Komödie "Wer früher stirbt, ist länger tot"; seither hat er neben "Sommer in Orange" oder "Wer’s glaubt, wird selig" vor allem eine Drama-Trilogie über zwei junge Frauen gedreht ("Beste Zeit", "Beste Gegend", "Beste Chance", 2007 bis 2014). Gemessen an diesen modernen Heimatfilmen ist "Trautmann" eine internationale Großproduktion. Der in Bayern und Nordirland auf Englisch gedrehte Film ist dank Bildgestaltung (Daniel Gottschalk) und Musik (Gerd Baumann) ein großes Drama und dank David Kross echtes Star-Kino. Der vor gut zehn Jahren durch seine Titelrolle in "Der Vorleser" auch international bekannt gewordene Schauspieler ist eine ausgezeichnete Besetzung, zumal er in den Fußballszenen keinen Zweifel an Trautmanns Ausnahmetalent lässt. Witzigerweise war Rosenmüller beim Vorgespräch so begeistert, dass er völlig vergaß, ihn zu fragen, ob er sich das Torwartspiel zutraut. Zum Glück entpuppte sich Kross nicht nur in dieser Hinsicht als großes Talent: Er verkörpert den Titelhelden als Identifikationsfigur, vermittelt aber auch glaubwürdig eine gewisse Gebrochenheit. Dafür hat das Autorentrio (neben Rosenmüller auch Nicholas J. Schofield und Robert Marciniak) ein ebenso treffendes wie letztlich bedrückendes Bild gefunden: Trautmann hat immer wieder Visionen eines kleinen Jungen, den er während des Krieges vor der Willkür eines Soldaten gerettet hat. Erst gegen Ende stellt sich raus, dass die Geschichte in Wirklichkeit ganz anders endete.
Obwohl Fußball in Europa Volkssport Nummer eins ist, gibt es nur wenige wirklich gelungene Fußballfilme. Sönke Wortmanns "Wunder von Bern" (2003) ist bis heute einer der Besten, aber Rosenmüllers Werk muss nun im selben Atemzug genannt werden, zumal die entsprechenden Szenen vorzüglich inszeniert sind. Über weite Strecken erzählen die Autoren das Leben ihres Helden jedoch wie eine Liebesgeschichte, weil sich Trautmann recht bald in die Tochter seines Trainers verliebt. In vielen dieser Szenen wirkt der Film wie eine romantische Komödie; die selbst in Großbritannien bislang kaum bekannte Schottin Freya Mavor ist eine ebenbürtige Partnerin für Kross. Die Dämonen des Krieges bleiben trotzdem präsent, denn auch die junge Frau hat natürlich gewisse Vorbehalte gegen den Deutschen. Trotzdem überwiegt der Witz, zumal John Henshaw den Coach wie eine Hommage an den brummigen Bauern aus den Kindertrickfilmen "Shaun das Schaf" verkörpert.
Anders als die Journalistin Catrine Clay, die sich in ihrem Buch "Trautmanns Weg" (Verlag Die Werkstatt) auf die Kriegserlebnisse konzentriert und die Fußballjahre eher beiläufig behandelt, reduziert Rosenmüller das Leben Trautmanns mit Ausnahme gelegentlicher Rückblenden auf die Nachkriegszeit; die ohnehin lesenswerte Biografie ist daher eine perfekte Ergänzung. Die Lektüre offenbart zwar, dass sich die Autoren einige künstlerische Freiheiten erlaubt haben, aber das soll die Qualität des Films nicht schmälern. Die Dreharbeiten für das Cupfinale fanden schließlich auch nicht in Wembley statt, sondern im Augsburger Rosenaustadion; erst die digitale Bearbeitung hat aus den 400 Komparsen 100.000 Zuschauer gemacht. Im Anschluss an den Spielfilm zeigt die ARD das Porträt "Vom Nazi zum englischen Fußballidol" (22.05 Uhr).