Immerhin ist der Ansatz der Geschichte halbwegs originell: Weil die Tochter im Herbst aufs College geht, will Clark Grant (Thomas Heinze) seine Familie zu einem letzten gemeinsamen Sommerurlaub überreden; und zwar im Wohnmobil. Angesichts des "rollenden Chemieklos" hält sich die Begeisterung von Gattin Jane (Ann-Kathrin Kramer) jedoch in Grenzen. Das ändert sich, als ihre Chefin (Nina Franoszek) ihr ein Ultimatum stellt: Jane ist Verlagslektorin und hat John Dwyer, dem erfolgreichsten Autor des Unternehmens, derart undiplomatisch mitgeteilt, was ihr an seinem neuen Roman missfällt, dass er den Verlag wechseln will. Wenn es ihr nicht gelingt, sich persönlich bei ihm zu entschuldigen, verliert sie ihren Job. Allerdings hat Dwyer keine feste Adresse. Der Mann ist ein Phantom und lebt irgendwo in den Wäldern New Englands an einem entlegenen malerischen See. Das wäre zwar das perfekte Urlaubsziel für die Bostoner Familie, doch Janes einzige Anhaltspunkte sind ein Foto Dwyers sowie die Beschreibungen der Gegend in seinen Büchern.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das klingt nach einer fröhlichen Komödie, zumal selbstredend alle möglichen Dinge schiefgehen, was den beiden Stars Heinze und Kramer einige amüsante Slapstick-Einlagen beschert. Für weitere Abwechslung sorgen eine Troll-App des Sohnes (Sam Heinze) und ein Stinktier. Dank gemeinsamer Erinnerungen an ein Nirvana-Konzert in Portland gibt es auch gefühlige Momente, aber trotzdem liegt von Anfang an ein Schatten über der Handlung: Clark hat eine Affäre mit seiner Assistentin Ashley (Friederike Linke), die darauf drängt, dass er sich endlich zu ihr bekennt, und auch Jane ist schon lange nicht mehr glücklich. Der High-School-Abschluss von Tochter Lilly (Pauline Rénevier) wird nicht der einzige familiäre Wendepunkt bleiben: Unterwegs begegnen die Grants einem Eigenbrötler namens Pinch (Bernhard Bettermann), dessen rustikalem Charme Jane schließlich erliegt, und dann taucht auch noch Ashley auf; beide wirken wie ein Katalysator auf die familiären Fliehkräfte.
Autor Jörg Tensing hat schon diverse Drehbücher für die Reihe "Katie Fforde" geschrieben. Dass die Filme mitunter deutliche Schwächen hatten, lag nicht nur, aber auch an seinen Vorlagen. Bestes Beispiel ist die New-York-Trilogie mit Ursula Karven. Der Auftaktfilm, "Das Weihnachtswunder von New York" (2015), schwelgte zwar in festlichen Bildern, hatte aber viel zu wenig Tiefe; sehenswert war erst der Abschluss der Minireihe, "Warum hab ich ja gesagt?" (2016). Ein gewisses Markenzeichen Tensings ist die Kombination unterschiedlicher Vorzeichen; "Martha tanzt" (2014) mischte Liebesgeschichte und Mobbing-Drama, bediente sich aber auch diverser Klischees. Das ist bei "Familie auf Bewährung" zwar nicht anders, doch die Schauspieler machen das wieder wett, selbst wenn der attraktive und charmante Clark zunächst eine typische Heinze-Figur ist. Sein sonnengebräunter Teint passt zwar nicht ganz zu der Aussage, dass Clark regelmäßig bis spätabends arbeitet, lässt Heinzes Augen aber noch blauer wirken als sonst; den entsprechenden Wettbewerb mit Kramer gewinnt er klar. All’ das ist jedoch spätestens mit Beginn des dritten Akts nur noch nebensächlich: Als die Familie auseinander bricht, kippt auch die Stimmung des Films.
Heinze und Kramer haben schon vor vielen Jahren in der Sommerkomödie "Therapie und Praxis" (2002) bewiesen, wie gut sie als Paar in der Trennung zusammenpassen. Den lautstarken Streit, als endlich der ganze Frust über die verkorkste Ehe aus Clark und Jane heraus bricht, spielen sie fast schon unangenehm gut; eigentlich seltsam, dass es so lange gedauert hat, bis sie wieder gemeinsam vor der Kamera standen. Bernhard Bettermann ist als Naturbursche eine überzeugende Ergänzung des Duos. Selbstverständlich ist "Pincher" niemand anders als John Dwyer, der als Foto das Bild eines viele Jahre älteren Namensvetters verwendet, aber davon hat Jane, aus deren Sicht der Schriftsteller ein weltfremder und sexistischer Autor mit antiquiertem Frauenbild ist, zunächst keine Ahnung; Pinchers entsprechend ironische Dialoge sind von amüsanter Doppeldeutigkeit. Ohnehin sorgt Tensing gerade in den ersten sechzig Minuten für viele heitere Momente, die Regisseurin Frauke Thielecke zwar nicht unbedingt temporeich, aber doch angemessen kurzweilig umgesetzt hat. Dazu passt auch die muntere Musik (Ingo Ludwig Frenzel, Rainer Oleak), die mit viel akustischer Gitarre und zarten Country-Elementen für die richtige Stimmung sorgt.
Innerhalb des für einen Sonntagsfilm zumindest halbwegs ungewöhnlichen Rahmens bewegt sich die Geschichte allerdings weitgehend auf ausgetretenen Pfaden. Die Konflikte sind ebenso vorhersehbar wie die Annäherung zwischen Jane und John. Da sich die Handlung größtenteils im Wald zuträgt, müsste sie nicht zwingend in New England spielen; Tensing hätte "Familie auf Bewährung" genauso gut im Schwarzwald ansiedeln können. Aber es macht Spaß, den Darstellern zuzuschauen, zumal Thielecke auch den Nachwuchs gut geführt hat; Sam Heinze ist hier in seiner ersten größeren Rolle und erstmals an der Seite seines Vaters zu sehen. Ideen wie jene, als Jane an einer einsamen Haltestelle mitten in der Wildnis feststellen muss, dass der nächste Bus erst übermorgen kommt, entschädigen ohnehin für einige Schwächen.