TV-Tipp: Donna Leon: "Reiches Erbe"

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TV-Tipp: Donna Leon: "Reiches Erbe"
Samstag, 12. Juni, ARD, 20.15 Uhr
Es ist immer noch sehr bedauerlich, dass die ARD die Donna-Leon-Verfilmungen im Dezember 2019 nach knapp zwanzig Jahren eingestellt hat. Immerhin sorgt sie für ein regelmäßiges Wiedersehen. Die heutige Wiederholung stammt aus dem Jahr 2014.

"Reiches Erbe" war die zwanzigste Verfilmung eines Brunetti-Romans, die achtzehnte Inszenierung von Regisseur Sigi Rothemund für die Reihe sowie der sechzehnte Auftritt von Uwe Kockisch in der Hauptrolle. Im Grunde ist es fast unvermeidlich, nach so langer Zusammenarbeit nicht in Routine zu verfallen; auch das Autorengespann Stefan Holtz/Florian Iwersen hat nicht zum ersten Mal einen Leon-Roman adaptiert. Trotzdem gehört "Reiches Erbe" zu den besten Filmen der Reihe.

Aus Sicht des Publikums ist naturgemäß viel entscheidender, dass die Erwartungen erfüllt werden: Es gibt sehenswerte Venedigbilder, der Krimi ist undurchsichtig, aber nicht zu spannend, und es ist wie stets ein besonderes Vergnügen, dem Commissario beim Denken zuzuschauen, weil Uwe Kockisch eine wunderbare Projektionsfläche bietet. Für viel Augenfutter sorgen aber nicht allein die vielen Schauplätze, selbst wenn es wie in allen Auslandsreihen der ARD-Tochter Degeto deutlich mehr Außenaufnahmen gibt als im herkömmlichen Fernsehkrimi: Ein Merkmal der Brunetti-Filme ist die fast schon verschwenderische Besetzung. Mag sein, dass der Drehort dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, aber Tatsache ist, dass man außer in so genannten Event-Produktionen selten so viele so gute Schauspieler sieht.

Und dann ist da natürlich noch die Geschichte. Wie schon in dem 2011 ausgestrahlten Film "Das Mädchen seiner Träume", als Guido Brunetti Abschied von seiner Mutter nehmen musste, geht es um ein würdevolles Leben im Alter. Ins Rollen kommt die Handlung nur durch Zufall, weil ein Bestatter am Hals einer angeblich durch Herzversagen gestorbenen Frau Würgemale entdeckt. Sie hatte ehrenamtlich Senioren betreut und einen Pfleger angezeigt. Ausgerechnet Chiara (Laura-Charlotte Syniawa), die Tochter des Commissarios, bringt ihn jedoch auf eine ganz andere Spur.

Würze erhält der Film gerade für langjährige Freunde der Reihe durch eine Personalie, die leider nur ein einmaliges Gastspiel bleiben wird. Meist hat Brunetti mit seinem Chef, Vice-Questore Patta (Michael Degen), mindestens so viel Arbeit wie mit den Verbrechern. Diesmal sind die Pattas gar zu zweit, denn der Chef präsentiert voller Stolz den eigenen Sohn als neuen Staatsanwalt. David Rott ("Der Mann mit dem Fagott") hat oft genug bewiesen, dass er ein talentierter Schauspieler ist, es kann also nur Absicht sein, dass er den Staatsanwalt wie eine Figur aus einer drittklassigen TV-Produktion anlegt. Da Patta junior zu profilsüchtigen Auftritten neigt, passt das großspurige Gehabe jedenfalls prima zur Rolle. Der übereifrige Jurist provoziert einen Skandal, der die umgehende Schließung des Altenheims zur Folge hätte, so dass Brunetti und Patta senior ausnahmsweise mal nicht nur an einem Strang, sondern auch in dieselbe Richtung ziehen.

Wichtigste der namhaft besetzten Nebenfiguren ist Tilo Prückner als melancholischer Ehemann einer Heimbewohnerin, der die alten Herrschaften mit Lotterielosen versorgt. Ausgesprochen harmonisch ist auch die familiäre Ebene integriert, zumal sich Privat- und Berufsleben des Commissarios nicht zuletzt dank eines diebischen Gastes (Liv Lisa Fries) im Hause Brunetti überschneiden. Die Musik (Stefan Schulzki) erfreut mit Variationen des Leitmotivs von André Rieu und füllt die akustischen Leerstellen, wenn wieder mal Venedigs Sehenswürdigkeiten angesagt sind. Ein gerade für Freunde der Reihe anspielungsreicher Film, dessen vielsagend beiläufige Erzählweise in dem von Signorina Elettra (Annett Renneberg) vorgetragenen  Stoßseufzer "Ach, Commissario..." kulminiert.

Im Anschluss (21.45 Uhr) zeigt die ARD die Folge "Lasset die Kinder zu mir kommen" (2007). Der Titel ist ungewohnt grimmig: In Leons sechzehntem Brunetti-Roman ist der Nachwuchs eine Ware. Im Prolog der Verfilmung bringt eine Albanerin ein Kind zur Welt, das ihr gleich wieder abgenommen wird. Es habe die Geburt nicht überlebt, heißt es. Da sie sich illegal in Italien aufhält, macht ihr der Arzt klar, dass sie besser keine weiteren Fragen stellt; und das ist nur der Auftakt einer Geschichte, die im weiteren Verlauf nichts an Düsternis einbüßt. Das Baby der Albanerin ist auf Umwegen beim wohlhabenden Ehepaar Pedrolli (Uwe Bohm, Nadeshda Brennicke) gelandet, und nur durch Zufall kommt Brunetti überhaupt auf die Spur dieses Menschenhandels: Pedrollis Wohnung ist mitten in der Nacht von Carabinieri gestürmt worden, die den vermeintlich unbescholtenen Kinderarzt wüst verprügelt haben.

Nun wird die Geschichte unübersichtlich und kompliziert, denn um die weiteren Ereignisse zu verstehen, muss man wissen, dass es in Italien mit den militärisch organisierten Carabinieri und der Polizia gewissermaßen zwei getrennt von einander operierende Polizeikräfte gibt. Donna Leon hat diesen Wettstreit noch zugespitzt, indem sie an die Spitze der Carabinieri ausgerechnet einen Sizilianer stellt; Gregor Törzs spielt den im Norden traditionell verachteten Süditaliener mit seinen Cowboy-Stiefeln ebenso cool wie impulsiv und ist damit ein wunderbarer Gegenentwurf zum kultivierten und beherrschten Brunetti. Die beiden Ermittler streiten fortan um die Zuständigkeit in diesem Fall: Die Albanerin wird tot aus dem Hafen gefischt. Sie hatte ein Foto Pedrollis dabei; daher auch der nächtliche Überfall durch die Carabinieri.

Der unauffällig und routiniert inszenierte Film lebt vor allem von der konsequenten Undurchsichtigkeit der Geschichte, in der schließlich auch die große Politik noch eine Rolle spielt: Pedrollis Schwiegervater (Michael Gwisdek) ist Chef einer rechtspopulistischen Partei und entsprechend fremdenfeindlich. Die ungewöhnlich namhafte Besetzung, ohnehin stets ein Plus der Venedig-Krimis, trägt natürlich ebenfalls zum Reiz bei. Aber am schönsten sind dennoch die kleinen Momente zwischen der bezaubernden Elettra und dem Commissario: Die beiden geben sich als kinderloses Paar aus, um den "Klapperstorch" genannten Drahtzieher (Andreas Pietschmann) des Adoptionsgeschäfts zu überführen, und dank Renneberg knistert es dabei ganz schön.